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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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furchtbar viel zu tun.«
    »Du hast immer furchtbar viel zu
tun, Frankie. Du wohnst nur eine Viertelstunde von hier entfernt. Das kann doch
nicht so schwierig sein, mal auf einen Sprung vorbeizukommen.«
    »Nein, ehrlich, ich hatte wirklich
viel zu tun. Ich habe die Firma verkauft. Gerade eben habe ich meine Firma
verkauft.«
    »Oh«, sagte sie. Sie reagierte
verständnislos auf die Nachricht. »Du hast sie verkauft? Warum denn das, mein
Junge?«
    Wenn sie mich so fragte, konnte ich
es ihr auch nicht erklären. Es war schon schwierig genug, Andy zu erklären,
warum ich Francis' Weinlager haben musste, das nun auch noch meiner Mutter zu
erklären wäre unmöglich.
    »Ach, ich mache die Arbeit jetzt
seit fünfzehn Jahren. Es wird langsam Zeit, das sich was verändert.«
    »Du wirst schon wissen, was am
besten für dich ist, Frankie. Du hast schon als kleiner Junge gewusst, was gut
für dich ist, auch wenn dein armer Vater nicht immer einverstanden war.«
    Ich trank meinen Tee und beobachtete
sie. Sie überlegte, was sie als Nächstes sagen sollte. Mary war eine Mutter,
die alle richtigen Antworten kannte, die eine Mutter parat haben sollte. Sie
kannte diese Antworten aus Büchern, Büchern über andere Mütter, die sie gelesen
hatte. Ich habe nie erfahren, was sie tatsächlich dabei empfand. Wenn sie mich
zur Begrüßung oder zum Abschied küsste oder wenn sie meinen Arm tätschelte,
hatte die Geste etwas eigenartig Zweidimensionales - angelernt, nicht
instinktiv. Vielleicht sind manche Pflegemütter so, vielleicht finden sie nie
richtig Kontakt zu ihren Pflegekindern. Was Mary betrifft, glaube ich allerdings,
dass sie von sich aus so war.
    Jetzt wusste sie nicht mehr, was sie
mir noch erzählen konnte, nach nur zehn Minuten des Zusammenseins. Seit
ungefähr fünfzehn Jahren besuche ich sie zwei- bis dreimal im Jahr und sage
ihr, wie schwer ich arbeiten muss, worauf sie immer antwortet: »Es ist gut,
wenn man eine Beschäftigung hat.« Jetzt brauchten wir einen neuen Fundus an
Gesprächsthemen, und keiner von uns beiden hatte eine Ahnung, wo wir den
hernehmen sollten.
    Dann fragte sie: »Zeit, dass sich
was verändert? Inwiefern, mein Junge?«
    »Ich habe mich noch nicht
entschieden. Ich habe die Firma ja gerade erst vor einer Stunde verkauft. Ich
muss mich erst mal neu orientieren. Ich will nichts überstürzen.«
    »Und der Mann, mit dem du
zusammengearbeitet hast - was wird aus dem?«, fragte sie.
    »Andy? Er bleibt und leitet die
Firma. Und ich steige aus.«
    »Ich frage mich, was du dann jetzt
mit dir anfangen willst.« Mary dachte kurz darüber nach, und ich trank weiter
meinen Tee. Ich wünschte, ich wäre nicht gekommen. Der Instinkt hatte mich hier
hergetrieben, nicht die Vernunft. Die Vernunft hätte mir gesagt, dass Mary mir
auch keinen Rat geben konnte. Was hatte der Besuch also für einen Sinn?
    Ihre Miene hellte sich auf.
»Vielleicht kommst du jetzt ja endlich mal dazu, dir ein nettes Mädchen zu suchen.
Du wirst auch nicht jünger. Du willst doch nicht allein bleiben.«
    »Ich bin erst fünfunddreißig«,
erinnerte ich sie.
    »Du siehst noch immer gut aus,
Frankie. Es dürfte nicht schwer sein, ein nettes Mädchen zu finden.«
    Ich fragte mich, was Mary unter einem
»netten Mädchen« verstand. Jemand, der stumm vor dem Fernseher hockte oder es
sich mit einem Catherine-Cookson-Roman auf dem Sofa gemütlich machte?
    »Ich habe schon ein nettes Mädchen
gefunden«, sagte ich.
    »Oh, gut«, sagte Mary. »Erzähl.«
    »Sie heiratet bald einen Freund von
mir.«
    Mary sah mich verständnislos an.
»Wie kannst du dann sagen, dass du sie gefunden hast? Jemand anders hat sie
gefunden«, verbesserte sie mich.
    »Das ist ja das Problem.«
    Mary stellte ihre Tasse Tee ab.
»Frankie«, sagte sie, »wenn sie jemand anderen heiratet, darfst du nicht mal
an sie denken. Das ist nicht recht. Du darfst ihr höchstens viel Glück
wünschen.«
    »Ja, doch.«
    »Ich würde es dir niemals
verzeihen«, sagte Mary, »wenn du Schuld hättest, dass diese Heirat nicht
zustande kommt. Das wäre wirklich nicht recht.«
    Ich schüttelte den Kopf, um ihr zu
zeigen, dass mir so etwas nicht mal im Traum einfallen würde.
    Als ich aufstand, um mich zu
verabschieden, fragte ich sie: »Wann hast du eigentlich zum letzten Mal Urlaub
gemacht, Mary?«
    »Ach, das weiß ich nicht mehr. Als
dein Vater starb, bin ich für ein paar Tage nach Bournemouth gefahren. Du
wolltest nachkommen, weißt du noch?«
    »Ach ja, richtig. Dann kam

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