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Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Titel: Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Meyer zu Kueingdorf , Michel Ruge
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signalisieren: »Ich bin hier und warte. Ihr könnt jetzt kommen, und dann tragen wir es aus!« Ich bin bis heute froh, dass ich Fritz nie mit zu den Champs genommen habe. Er hätte sich nie unterordnen können, Hierarchien waren ihm zuwider. Ich sah ihn an, und mich beschlich ein ungutes Gefühl. Fritz war unruhig. Es loderte immer stärker in ihm. Es dauerte keine Minute, dass sein Blick erwidert wurde. Am anderen Ende der Theke saßen drei Typen.
    »Komm, wir gehen mal rüber.«
    Wir stellten uns neben die drei.
    »Ein Bier«, rief Fritz der Bedienung zu. »Und du, Michel?«
    »Ich nehme noch mal ’nen KiBa.«
    Dann drehte er sich zu den Typen: »Bei euch alles okay?«
    Einer von ihnen schaute Fritz böse an: »Bei dir?«
    Mit einem Auge seine Gegenüber immer im Blick, sagte Fritz zu mir: »Michel, wenn ich Stress habe, dann stell ich mir immer vor, dass der andere mir weh tun will. Dann steigere ich mich da so rein, bis mir die Tränen kommen. Und dann, Michel! Dann lege ich los!«
    Fritz schuf sich die Notwendigkeit eines Konflikts selbst. Er baute sich vor dem Typen mit dem bösen Blick auf. Jetzt, das wusste ich, würde er in die Offensive gehen. Fritz legte es drauf an. Er wollte zeigen, dass er keine Angst hatte. Noch nicht mal vor sich selbst – und genau das war das Problem.
    »Na, suchst du Streit?«
    Der Typ hatte nicht mal die Zeit zu antworten. Fritz hatte den Ansager mit einer Geraden niedergestreckt. Man konnte es im ganzen Laden hören. Dieses Geräusch. Das Knacken eines Knochen, das Knirschen von Zähnen, die aus dem Kiefer brechen. Noch bevor sein erstes Opfer auf dem Boden lag, stürzte sich Fritz auf die beiden anderen. Er schlug auf sie ein. Die Typen waren so überrascht, dass sie keine Gegenwehr leisteten. Immer wieder schlug Fritz ihnen mit der Faust ins Gesicht. Sie bluteten beide heftig aus der Nase, die Lippen waren dick geschwollen. Aber Fritz hatte noch nicht genug. Er kochte, atmete schwer, sein Kopf war hochrot. Immer wieder schlug er auf den am Boden liegenden Ansager ein. Ich nahm mir die anderen beiden vor. Ich schlug dem Ersten gegen den Kiefer. Es klatschte durch den ganzen Laden. Er taumelte, riss den anderen mit sich nach hinten. Fritz stand über den ersten gebeugt, legte sein ganzes Gewicht in jeden seiner Schläge. Sein Opfer lag vollkommen hilflos da, sein Blut und seine Zähne um ihn herum verteilt.
    Ich riss Fritz zurück, schrie: »Es reicht. Lass uns abhauen.«
    Er war wie von Sinnen, versuchte sich wieder loszureißen. Doch schließlich hatte ich ihn. Wir rannten los, zur Tür hinaus. Wir liefen um den Block, ehe wir keuchend stehen blieben. Ich schrie Fritz an. »Bist du vollkommen verrückt?« Er starrte auf den kaputten, blutenden Knöchel seiner Rechten. Er schwieg. Er stand vor mir wie ein gefallener Engel. Er widerte mich an.
    Nach dem, was passiert war, konnte ich unmöglich einfach abhauen. Mein Gewissen ließ es nicht zu, ich musste in Erfahrung bringen, wie es dem Typen ging, den Fritz fast totgeprügelt hatte. Wir liefen zurück zu der Kneipe und beobachteten aus sicherem Abstand den Eingang des Pickenpack. Die Schmiere stand vor der Tür, daneben ein Krankenwagen. Gerade trug man Fritz’ Opfer auf einer Trage heraus. Mir stockte der Atem. Fritz wurde kreidebleich.
    »Scheiße!«, raunte ich ihn an. »Biste wahnsinnig?«
    »Aller, was willst du?« Er sah mich mit finsterem Blick an.
    »Ja, Fritz. Was denn? Willst du mich auch fertigmachen?«
    Wir starrten uns an. Für einen kurzen Augenblick schien es, als würden wir gleich aufeinander losgehen. Doch dann sah ich wieder klar: »Komm, Fritz. Lass uns ruhig machen. Okay?« Fritz nickte. Wir gingen zu ihm nach Hause, saßen in seinem Zimmer und schwiegen. Fritz trank ein Bier. Als ich ihn mit der Flasche am Hals vor mir sah, wurde mir bewusst, wie viel er trank.
    Fritz stand auf, stellte sich vor den großen Spiegel an der Wand und begann zu heulen. Es war das erste Mal, dass ich ihn heulen sah. Ich beobachtete ihn, aber ich konnte nicht aufstehen, um ihn zu trösten. Ich saß vollkommen starr in meinem Stuhl. Ich war wütend auf Fritz, aber ich war auch traurig, meinen Freund so sehen zu müssen. Wir hatten gelernt, uns zu prügeln. Aber wir wussten nicht, wie man seinen Freund tröstet. Dabei wäre es in diesem Moment so wichtig gewesen, denn mir war klar: Allmählich wurde Fritz von der Gewalt zerfressen, die er so sehr zum Leben brauchte.
    Ich musste weg. Ich musste weg. Ich war hilflos. Ich lief

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