Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
hatten. Wenig später verlief der Pfad jedoch eben, und der Untergrund wechselte von Steinen zu ausgetretener Erde.
Die anderen waren ein paar hundert Meter voraus, deshalb fingen Eric und ich an zu laufen, um die Lücke zu schließen. Noch bevor wir sie einholten, huschte Ted an uns vorbei. »Zeit fürs Trinken« sagte er und schwenkte dabei seine leere Wasserflasche. »Ich warte an der Quelle auf euch.«
Der Pfad führte wieder steil nach oben, in rasch aufeinander folgenden Spitzkehren ging es hin und her. 450 Meter, 600 Meter … Wir neigten uns hangwärts und hatten das Gefühl, dass wir mit jedem Schritt nur wenige Zentimeter vorankamen. Nach drei Stunden und zehn Kilometern mühsamer Kletterei hatten wir die Quelle immer noch nicht gefunden. Und seit wir vom Flussufer abgebogen waren, hatten wir keinen Schatten mehr gehabt.
»Siehst du?«, sagte Eric und schwenkte das Mundstück seines Trinkrucksacks. »Die Jungs müssen völlig ausgetrocknet sein.«
»Und ausgehungert«, sagte ich und riss einen Müsliriegel auf.
In 1050 Metern Höhe stießen wir auf Caballo und die anderen, die in einer Mulde unter einem Wacholderbaum warteten. »Braucht irgendjemand hier Jodtabletten?«, fragte ich.
»Ich glaube nicht«, antwortete Luis. »Sieh mal.«
Unter dem Baum gab es ein natürliches Wasserbecken aus Stein, das im Lauf der Jahrhunderte vom kühlen, tröpfelnden Quellwasser ausgewaschen worden war. Es war nur kein Wasser zu sehen.
»Wir sind in einer Trockenperiode«, sagte Caballo. »Daran habe ich nicht gedacht.«
Es bestand aber die Chance, dass einige Dutzend Höhenmeter weiter oben am Berg eine andere Quelle noch sprudeln könnte. Caballo bot an, dort hinzulaufen und nachzusehen. Jenn, Billy und Luis waren zum Warten zu durstig und begleiteten ihn. Ted gab seine Flasche Luis, der sie für ihn auffüllen sollte, und setzte sich zu uns in den Schatten. Ich gab ihm ein paar Schlucke aus meinem Rucksack, und Scott steuerte etwas Pita und Hummus bei.
»Du isst keine Gels?«, fragte Eric.
»Ich mag richtige Nahrungsmittel«, antwortete Scott. »Die kann man genauso bei sich tragen, und man bekommt richtige Kalorien und nicht bloß eine zügige Verbrennung.« Scott, einem Athleten mit Sponsorenvertrag, stand zwar das weltweit erhältliche Nahrungsangebot zur Verfügung, aber nachdem er das gesamte Spektrum durchprobiert hatte – vom Wildfleisch über Happy Meals bis zu organischen Rohkostriegeln -, war er bei einer Ernährungsform gelandet, die dem Tarahumara-Essen sehr stark ähnelte.
»Ich bin in Minnesota aufgewachsen und habe mich konsequent von Junkfood ernährt«, sagte er. »Mein Mittagessen bestand meist aus zwei McChickens und einer großen Portion Pommes frites.« In Scotts Highschoolzeit, in der er Skilang- und Querfeldeinläufer war, sagten ihm seine Trainer immer, er müsse viel mageres Fleisch essen, um nach einer harten Trainingseinheit seine Muskeln wieder aufzubauen, doch je mehr er sich mit traditionellen Ausdauerathleten beschäftigte, desto mehr Vegetarier fand er.
Da waren zum Beispiel die Marathonmönche in Japan, von denen er eben erst gelesen hatte. Sie liefen sieben Jahre lang jeden Tag , legten dabei rund 40 000 Kilometer zurück und ernährten sich ausschließlich von Misosuppe, Tofu und Gemüse. Und wie war das nochmal mit Percy Cerutty (1895-1975), dem verrückten australischen Genie, das einige der größten Meilenläufer aller Zeiten gecoacht hatte? Cerutty war der Ansicht, Nahrungsmittel sollten nicht gekocht und schon gar nicht geschlachtet werden. Er ließ seine Athleten drei Trainingseinheiten nacheinander absolvieren und verordnete ihnen dazu eine Ernährung, die auf rohen Haferflocken, Obst, Nüssen und Käse basierte. Auch Cliff Young, der 63 Jahre alte Farmer, der 1983 ganz Australien verblüffte, als er bei einem 815-Kilometer-Rennen von Sydney nach Melbourne die besten Ultralangstreckenläufer des Landes besiegte, gelang diese Leistung mit einer Diät, die aus Bohnen, Bier und Haferbrei bestand. (»Ich habe die Kälber immer von Hand gefüttert, und sie glaubten, ich sei ihre Mutter«, sagte Young. »In den Nächten, in denen mir bewusst war, dass sie geschlachtet werden würden, schlief ich nicht besonders gut.« Er stellte seine Ernährung auf Getreideprodukte und Kartoffeln um und schlief sehr viel besser. Und lief dann auch ziemlich gut.)
Scott war nicht ganz klar, warum eine fleischlose Ernährung bei einigen großen Läufern der Geschichte funktionierte, aber
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