Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
er dachte sich, dass er zunächst den Ergebnissen vertrauen sollte und den wissenschaftlichen Hintergrund auch später noch klären konnte. Ab diesem Zeitpunkt nahm er keine von Tieren stammenden Nahrungsmittel mehr zu sich – keine Eier, keinen Käse, nicht einmal Eiscreme – und auch nur noch wenig Zucker oder Weißmehl. Auf seine langen Läufe nahm er keine Snickers oder PowerBars mehr mit, stattdessen belud er seine Gürteltasche mit Reisburritos, mit Pitabrot, das mit Hummus und Kalamata-Oliven gefüllt war, und mit selbstgebackenem Brot, das er mit Adzukibohnen- und Quinoa-Paste bestrich. Als er sich einmal den Knöchel verstauchte, ließ er die Finger von Ibuprofen und setzte stattdessen auf Arnikaumschläge und große Portionen Knoblauch und Ingwer.
»Natürlich hatte ich meine Zweifel«, sagte Scott. »Alle Welt erzählte mir, ich würde schwächer werden, würde mich nach den Trainingseinheiten nicht mehr richtig erholen, würde mir Stressfrakturen zuziehen und an Blutarmut leiden. Aber ich kam zu dem Ergebnis, dass es mir in Wirklichkeit besser ging, weil ich Nahrungsmittel mit höherwertigen Nährstoffen zu mir nahm. Und nach meinem ersten Sieg bei Western States gab es kein Zurück mehr.«
Scott bezieht mit seiner aus Obst, Gemüse und Vollkornprodukten bestehenden Ernährung den maximalen Nährwert aus der geringstmöglichen Kalorienzahl, also ist sein Körper nicht genötigt, irgendwelchen nutzlosen Ballast mit sich herumzutragen oder zu verarbeiten. Und da Kohlenhydrate im Magen schneller verarbeitet werden als Proteine, ist es für ihn auch einfacher, lange Trainingszeiten in seinem Alltag unterzubringen, weil er nicht mehr herumsitzen und warten muss, bis so ein Fleischklumpen verdaut ist. Gemüse, Getreidekörner und Hülsenfrüchte enthalten alle Aminosäuren, die der Körper für den grundlegenden Muskelaufbau braucht. Scott ist, wie ein Tarahumara-Läufer, in der Lage, jederzeit jede beliebige Entfernung zu laufen.
Natürlich nur dann, wenn ihm nicht das Wasser ausgeht.
»Schlechte Nachrichten, Leute«, rief Luis uns zu, als er wieder den Berg herunterkam. »Die ist auch versiegt.« Er machte sich allmählich Sorgen. Gerade eben hatte er zu pinkeln versucht, nach vier Stunden schweißtreibenden Laufens bei 35 Grad Hitze, und was dabei herauskam, sah aus wie Instantkaffee. »Ich glaube, wir sollten so schnell wie möglich an Wasser kommen.«
Scott und Caballo sahen das ebenso. »Wenn wir gleich loslegen, können wir in einer Stunde im Tal sein«, sagte Caballo. »Oso«, fragte er mich, »alles in Ordnung?«
»Ja, mir geht’s gut«, sagte ich, »und wir haben auch immer noch Wasser.«
»In Ordnung, also dann los«, sagte Barfuß-Ted.
Wir liefen hintereinander bergab, mit Caballo und Scott an der Spitze.
Barfuß-Ted hielt sich ganz erstaunlich. Dicht hinter Luis und Scott, zwei der besten Bergabläufer in dieser Sportart, rannte er den Berg hinunter. Das Tempo war scharf, und das wiederum war bei all dem hier versammelten Talent, das sich gegenseitig antrieb, kein Wunder. »Yeeeaaahhh, Baby!«, brüllten Jenn und Billy.
»Lass uns langsamer machen«, sagte Eric. »Wir klappen zusammen, wenn wir versuchen, an ihnen dranzubleiben.«
Wir fielen in einen leichten, federnden Schritt und blieben weit zurück, während die anderen auf den geraden Strecken zwischen den Spitzkehren hin- und herhuschten. Bergablaufen kann den Quadrizeps schwer in Mitleidenschaft ziehen, von den Knöcheln ganz zu schweigen, deshalb besteht der Trick darin, so zu tun, als liefe man bergauf: die Füße laufen lassen, als ob man ein Holzfäller wäre, der einen Baumstamm rollt, die Geschwindigkeit kontrollieren, indem man sich nach hinten lehnt und die Schrittlänge verkürzt.
Am Nachmittag staute sich die Hitze im Canyon, und die Temperatur stieg auf über 38 Grad. Eric und ich hatten die anderen aus dem Blick verloren, also ließen wir uns Zeit, liefen in gemütlichem Tempo dahin und nippten immer wieder an unserem sich rasch leerenden Wasservorrat. Auf dem Weg ins Tal fanden wir uns vorsichtig und nach Gefühl in diesem Gewirr von Pfaden zurecht und bekamen dabei gar nicht mit, dass Jenn und Billy bereits eine Stunde zuvor verschwunden waren.
»Ziegenblut ist gut«, erklärte Billy beharrlich. »Wir können zuerst das Blut trinken und dann das Fleisch essen. Ziegenfleisch ist gut.« Er hatte ein Buch eines Autors gelesen, der in der Wüste von Arizona auf diese Weise dem Tod entgangen war: Er hatte ein
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