Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Titel: Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher McDougall
Vom Netzwerk:
dauernden Rarájipari, der Erwachsenenversion des Spiels, dem ich gerade zusah, wohl jeden anderen besiegen. Ángel erklärte uns, das echte Rarájipari sei das Herzstück der Tarahumara-Kultur; alles, was die Tarahumara so einzigartig mache, lasse sich bei einem hitzigen Rarájipari beobachten.
    Zunächst einmal versammelten sich zwei Dörfer und verbrachten eine ganze Nacht mit Wetten und dem Konsum von tesgüino, einem selbstgebrauten Maisbier, mit dem man Farbe abbeizen konnte. Die Mannschaften der beiden Dörfer, die jeweils drei bis acht Läufer zählten, starteten dann bei Sonnenaufgang. Die Läufer rannten auf einem langen Wegstreifen hin und her und trieben dabei den Ball nach vorn wie Fußballspieler bei einem schnellen Konter. Das Rennen konnte 24, ja sogar 48 Stunden dauern, je nachdem, was in der vorhergehenden Nacht vereinbart worden war, aber die Läufer durften niemals aussteigen oder ein gemächliches Tempo anschlagen. Sie mussten immer voll bei der Sache sein, weiterdrängen, die Richtung wechseln und Haken schlagen, während der Ball unter dem Einfluss von bis zu 32 Beinen auf beiden Seiten ständig hin und her flitzte.
    »Wir sagen, das Rarájipari sei das Spiel des Lebens«, sagte Ángel. »Man weiß nie, wie hart es zugehen wird. Man weiß nie, wann es beendet ist. Man kann es nicht beherrschen. Man kann sich nur darauf einstellen.«
    Und er fügte noch hinzu: Niemand bewältigt es ganz allein. Selbst ein Superstar wie Manuel Luna kann nicht gewinnen, wenn nicht ein Dorf hinter ihm steht. Freunde und Familienangehörige unterstützen die Läufer mit Tassen voll Pinole. Bei Einbruch der Dunkelheit zünden die Dorfbewohner Acate -Stäbe an, harzige Nadelholzäste, und die Läufer eilen im Fackelschein durch die Nacht. Man musste über sämtliche Tugenden der Tarahumara verfügen, um einen solchen Wettkampf durchzustehen – Stärke, Geduld, die Fähigkeit zur Zusammenarbeit, Hingabe und Beharrlichkeit. Und das Wichtigste war: Man musste das Laufen lieben.
    »Dieser Junge wird so gut werden wie sein Vater«, sagte Ángel und nickte dabei in Marcelinos Richtung. »Wenn ich es zuließe, würde er den ganzen Tag lang so weiterlaufen.«
    Marcelino erreichte den Fluss, wirbelte herum und spielte den Ball einem kleinen Sechsjährigen zu, der eine Sandale verloren und außerdem mit seinem Gürtel zu kämpfen hatte. Klein-Einschuh führte eine kurze, ruhmreiche Zeit lang seine Mannschaft an und genoss das sichtlich, wobei er auf einem Bein hüpfte und sich mit seinem Lendentuch abmühte, das er ebenfalls zu verlieren drohte. In diesem Moment bekam ich einen ersten Einblick in den wahren Geist des Rarájipari. Wegen der holprigen Wege und der stetig hin und her führenden Wettkampfstrecke ist das Spiel mit endlosen und überraschenden Handicaps durchsetzt; der Ball flitzte in alle Richtungen, als würde er von einem Flipperflügel abgefeuert, und das ließ die langsameren Kinder wieder aufholen, sobald Marcelino das Spielgerät aus einer Felsspalte kratzen musste. Die Beschaffenheit des Spielfelds nivelliert die Unterschiede im Teilnehmerfeld, auf diese Weise werden alle gefordert, und niemand wird ausgeschlossen.
    Jungen und Mädchen sausten miteinander über die hügelige Wettkampfstrecke, aber niemanden schien es besonders zu interessieren, wer denn nun gewann; es gab keine Streitereien, keine Selbstdarsteller und, das war das Auffälligste, kein Coaching. Ángel und der Lehrer der Schule beobachteten das Geschehen mit Freude und intensivem Interesse, gaben aber keine Instruktionen. Sie feuerten die Kinder nicht einmal an. Die steigerten das Tempo, wenn ihnen danach war, schalteten einen Gang zurück, wenn der Übermut nachließ, und verschnauften gelegentlich einen Augenblick lang unter einem schattenspendenden Baum, wenn sie sich zu viel zugemutet hatten und wieder zu Atem kommen wollten.
    Marcelino schien jedoch, im Unterschied zu den meisten anderen Spielern, niemals langsamer zu werden. Er war unermüdlich, wirkte bergauf so leichtfüßig wie bergab, die Beine bewegten sich mit überraschend kurzen, tänzerischen Schritten, und dieser Laufstil sah auf irgendeine Art immer noch elegant aus, keineswegs abgehackt. Für einen Tarahumara-Jungen war er recht groß, und er zeigte dasselbe entrückte, im spielerischen Tun aufgehende Lächeln, das auch bei Michael Jordan zu beobachten gewesen war, wenn der spielentscheidende Wurf anstand. Auf der letzten Runde seines Teams spielte Marcelino Billard, er

Weitere Kostenlose Bücher