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Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)

Titel: Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher McDougall
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übertraf meine kühnsten Hoffnungen, und deshalb war sie zu gut, um glaubwürdig zu sein. Das Weiße Pferd schien mehr Mythos als Mensch, und das ließ mich vermuten, dass Ángel schließlich von meinen Fragen genug hatte, dass er sich eine Ködergeschichte ausgedacht und uns damit in die weite Ferne geschickt hatte, wohl wissend, dass wir Hunderte von Kilometern entfernt sein würden, bevor uns ein Licht aufging.
    Das war keine Wahnvorstellung von mir. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine unglaubliche Geschichte eingesetzt wurde, um das Läufervolk mit einer schützenden Nebelwand zu umgeben. Carlos Castaneda, Autor der enorm populären, in den 1960er Jahren erschienenen Don-Juan-Bücher, meinte mit ziemlicher Sicherheit die Tarahumara, als er mit magischen Fähigkeiten ausgestattete mexikanische Schamanen beschrieb, die über erstaunliche Weisheit und Ausdauer verfügten. Castaneda ließ sich jedoch offenkundig von Mitgefühl leiten, als er den so beschriebenen Stamm absichtlich (und fälschlicherweise) als Yaquis bezeichnete. Castaneda war dabei wohl klar, dass sich die aggressiven Yaquis besser zur Wehr setzen könnten als die sanften Tarahumara, falls seine Bücher eine Invasion von nach Peyote gierenden Hippies auslösen würden.
    Ein merkwürdiger Vorfall ließ mich allerdings die Jagd fortsetzen, trotz meines Verdachts, dass ich soeben im Castaneda-Stil getäuscht worden war. Ángel hatte uns in seinem einzigen freien Zimmer übernachten lassen, in einer winzigen, aus Lehmziegeln errichteten Hütte, die als Krankenstation der Schule genutzt wurde. Am nächsten Morgen lud er uns freundlicherweise zum Frühstück ein, das aus Bohnen und in Handarbeit gefertigten Maistortillas bestand, bevor wir aufbrachen. Es war ein frostiger Morgen, dennoch saßen wir draußen und wärmten unsere Hände an den dampfenden Frühstücksschalen, und ein Schwarm von Kindern lärmte an uns vorbei aus dem Schulhaus ins Freie. Der Lehrer wollte die Kinder nicht auf ihren kalten Stühlen frieren sehen, also schickte er sie nach draußen, damit sie sich nach Tarahumara-Art aufwärmten – mir verschaffte das die Gelegenheit, ein rarájipari zu erleben, das Laufspiel der Tarahumara.
    Ángel erhob sich und teilte die Kinder in zwei Mannschaften ein, Mädchen und Jungen gemischt. Dann holte er zwei etwa baseballgroße Holzbälle hervor, die er je einem Spieler der beiden Mannschaften zuwarf, und zeigte sechs Finger: Die Kinder sollten sechs Runden vom Schulhaus zum Fluss und zurück laufen, was einer Gesamtstrecke von etwa sechseinhalb Kilometern entsprach. Die beiden Jungen ließen die Bälle in den Staub fallen, wölbten einen Fuß, sodass ihr Ball auf den Zehen balanciert wurde, duckten sich langsam nieder, und …
    Vayan! Los!
    Die Bälle zischten an uns vorbei, von den Füßen der Jungen abgefeuert wie aus einer Bazooka, und die Kinder stürmten auf dem Fußpfad hinterher. Die Mannschaften schienen ziemlich ausgeglichen besetzt zu sein, aber ich hätte auf Marcelino gesetzt, einen zwölfjährigen Jungen, der Jonathan »Johnny« Storm, der Menschlichen Fackel aus der Comicserie Die Fantastischen Vier , glich; sein hellrotes Hemd flatterte wie Flammen im Wind, und sein weißes Lendentuch umwehte seine Beine wie eine Rauchspur. Die Fackel holte den Ball der eigenen Mannschaft ein, noch bevor dieser ausgerollt war. Mit den Zehenspitzen erfasste er ihn geschickt und schleuderte ihn auf dem Pfad voraus, was seinen Laufrhythmus jedoch kaum beeinträchtigte.
    Marcelinos Laufstil war so erstaunlich, dass man die Einzelheiten nur mit Mühe sofort erkannte. Seine Füße wichen den Steinen mit tänzerischer Leichtigkeit aus, doch oberhalb der Beine blieb der Körper ruhig, fast unbewegt. Wer ihn nur von der Hüfte aufwärts betrachtete, konnte glauben, dass er auf Kufen dahinglitt. Mit dem hochgereckten Kinn und den schwarzen Ponyfransen sah er aus, als sei er direkt dem Steve-Prefontaine-Poster entsprungen, das jeder Highschool-Läuferstar in den Vereinigten Staaten in seinem Zimmer hängen hatte. Ich fühlte mich, als hätte ich die Zukunft des amerikanischen Laufens entdeckt, die 500 Jahre in der Vergangenheit lebte. Ein Junge, der so talentiert und so hübsch war, dass sein Gesicht unbedingt zur Werbeikone auf Cornflakesschachteln taugte.
    »Sí, de acuerdo«, sagte Ángel. Ja, ich sehe das auch so. »Es liegt ihm im Blut. Sein Vater ist ein großer Champion.«
    Manuel Luna, Marcelinos Vater, konnte in einem eine ganze Nacht lang

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