Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
Poetics der Naropa-Universität in Boulder/Colorado Kreatives Schreiben studieren wollte. Dann fiel ihr Lance Armstrongs Buch Tour des Lebens in die Hände, und sie verliebte sich in eine neue Spielart des Kriegerpoeten.
Sie begriff, dass Lance nicht einfach nur irgendein wilder Bursche auf einem Fahrrad war; er war ein Philosoph, ein Nachfahre der Beatniks, ein Dharma Bum auf den Asphaltmeeren, der nach Inspiration und »Pure Experience«, Reiner Erfahrung, suchte. Sie hatte gewusst, dass Armstrong eine Krebserkrankung überwunden hatte, doch wie nahe er dem Tod bereits gewesen war, davon hatte sie keine Ahnung gehabt. Die Metastasen breiteten sich bereits in Armstrongs Gehirn, Lunge und Hoden aus, als er sich unters Messer begab. Nach der Chemotherapie war er zum Gehen zu schwach, musste aber sofort eine wichtige Entscheidung treffen: Sollte er eine Versicherungsprämie im Wert von 1,5 Millionen Dollar in Anspruch nehmen oder sollte er sie ablehnen und anschließend versuchen, sich abermals zum Ausdauerathleten aufzubauen? Nahm er das Geld, hatte er finanziell ausgesorgt. Lehnte er ab und bekam dann einen Rückfall, dann war er so gut wie tot; er hätte kein Vermögen mehr, keine Krankenversicherung und keine Chance, seinen 30. Geburtstag zu erleben.
»Zum Teufel mit dem Surfen«, brach es aus Billy heraus. Ein Leben in Extremen hatte nichts mit Gefahr zu tun, erkannte er. Es war von Neugier bestimmt; von wagemutiger Neugier, wie sie Lance empfunden hatte, als er schon endgültig abgeschrieben war und dennoch für sich selbst beschloss, dass er versuchen wollte, einen fast zerstörten Körper so wieder aufzubauen, dass er die weltbesten Fahrer hinter sich ließ. So wie das Kerouac gemacht hatte, als er auf die Tour ging, die er dann in einem aberwitzigen, bedenkenlosen Ausbruch beschrieb, von dem er niemals dachte, dass er es bis in eine Druckerei schaffen würde.
Unter diesem Blickwinkel sahen Jenn und Billy eine direkte Verbindung, die von einem Beatnik-Schriftsteller über einen Weltklasseradfahrer bis zu einem Rettungsschwimmerpärchen in Virginia Beach führte, das eine Vorliebe für »Pabst Blue Ribbon«-Bier hegte. Niemand traute ihnen irgendetwas zu, also konnten sie alles versuchen. Der Wagemut lockte.
Billy fragte Jenn: »Hast du schon mal vom Mountain Masochist gehört?«
»Nee. Wer ist das denn?«
»Das ist ein Rennen, du Holzkopf. Achtzig Kilometer, in den Bergen.«
Keiner von beiden war bisher auch nur einen Marathon gelaufen. Sie hatten sich immer am Strand herumgetrieben, also kannten sie die Berge kaum, von Bergläufen ganz zu schweigen. Sie könnten sich hier nicht einmal ordentlich vorbereiten; die höchste Erhebung in der Gegend von Virginia Beach war eine Sanddüne. 80 Kilometer in den Bergen waren für sie viiiiel zu weit.
»Mann, das isses, unbedingt«, sagte Jenn. »Ich bin dabei.«
Für diesen Plan brauchten sie ernsthafte Unterstützung, also sah sich Jenn dort um, wohin sie immer ging, wenn sie nach Anleitung suchte. Und wie üblich kamen bei einem solchen Zugriff ihre liebsten kettenrauchenden Alkoholiker zum Zug. Zuerst vertieften sie und Billy sich in Gammler, Zen und hohe Berge und lernten Jack Keroucs Beschreibung einer Wandertour im Kaskadengebirge an der Westküste auswendig.
»›Versuch mal, über den Pfad zu meditieren, du musst einfach laufen und auf den Pfad zu deinen Füßen sehen und nicht in die Gegend gucken und einfach in Trance verfallen, während der Boden vorbeisaust‹«, schrieb Kerouac. »So sind Pfade: Man schwebt dahin in einem Shakespearehaften Ardennen-Paradies und macht sich auf Nymphen und Flötenknaben gefasst, dann plötzlich kämpft man in einer heißen, schmorenden Höllensonne mit Staub und Brennnesseln und Gifteichen … genau wie das Leben.«
»Unser Zugang zum Geländelauf kam ganz und gar von Gammler, Zen und hohe Berge«, sagte mir Billy später einmal. Als Inspirationsquelle trat dann noch Charles Bukowski auf den Plan: »Wenn du etwas versuchst, setze alles ein«, schrieb die Barfly. »Kein anderes Gefühl kommt diesem gleich./Du wirst mit den Göttern alleine sein,/ und die Nächte werden in Flammen stehen. … du wirst das Leben auskosten bis zum/perfekten Gelächter, es ist/der einzige gute Kampf, den es gibt.«
Strandangler registrierten bei Sonnenuntergang am Atlantik schon bald darauf allabendlich seltsame Vorgänge. Zuerst hallten Sprechchöre über die Dünen – »Visioooonen! Voooorahnungen! Halluzinatioooonen« -, dann
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