Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
konfrontiert. Er hat zwar geleugnet, aber er war es, ich habe es ihm deutlich angesehen.«
»Okay, ich rufe ihn an und nehme ihn mir vor.«
»Am liebsten würde ich ihn gleich festnehmen«, erwiderte Bosmans grinsend. »Hatte der Pastor sonst noch irgendetwas Nützliches zu erzählen? Kannte er die Opfer?«
»Nein, er konnte uns auch nicht weiterhelfen. Wie gesagt, er hat nur den Stromableser vage beschrieben. Er sagte etwas von einem grauhaarigen Mann um die fünfzig.«
»Sollen wir eine neue Personenbeschreibung durchgeben?«
»Nein, mach eine zweite draus, Jos. Der Pastor weiß ein gutes Glas Wein zu schätzen«, sagte Deleu, schon auf dem Weg zur Tür.
»Das gehört zu seinem Job. Diese Männer müssen ziemlich viel aushalten.«
Ohne zu antworten, verließ Deleu das Büro. Bosmans hatte ihn selten so entschlossen erlebt. De Staercke, damals eine der treibenden Kräfte von Deleus Kaltstellung im Fall Lucien Dom, war für Deleu ein rotes Tuch. De Staercke war derjenige gewesen, der im Zusammenhang mit der Spaghetti-Affäre im Parlament lauthals gefordert hatte, auch in einigen anderen Fällen müsse eine ganz neue Richtung eingeschlagen werden. Deleu hatte damals den starken Verdacht, dass einige Politiker der extremen Rechten, unter anderem das Vlaams-Blok-Schwergewicht De Staercke selbst, bis über beide Ohren in den organisierten Kindesmissbrauch verwickelt waren.
Daraufhin hatte Deleu noch eine Weile auf eigene Faust weiterermittelt und diese Eigenmächtigkeit beinahe mit dem Leben bezahlt. Die Mitschuld De Staerckes und seiner Kumpane konnte jedoch nie bewiesen werden.
Nach der langwierigen Reha musste er feststellen, dass man ihn von dem Fall abgezogen hatte, und da beschloss er, auszusteigen. Barbara hatte zwischenzeitlich sogar gedroht, ihn zu verlassen, wenn er nicht kürzertreten würde. Sie hatte vor allem eine Heidenangst gehabt, dass Rob etwas zustoßen könne. Es hatte in dem Jugendclub, wo ihr Sohn Stammgast war, einen Zusammenstoß mit rechtsextremen Jugendlichen gegeben. Sie hatten wild randaliert, und Rob war nur mit knapper Not einem Messerstich entgangen.
Deleu war so im Bann seiner Ermittlungen gewesen, dass er die Bedrohung nicht mehr sah oder nicht sehen wollte. Damals war Barbara für vierzehn Tage zu ihrer Mutter gezogen und hatte Deleu vor die Wahl gestellt: Job oder Familie.
Bosmans hatte Deleu schließlich klargemacht, dass das Ganze keinen Sinn mehr hatte und dass Barbara wichtiger war als die Jagd nach einem Phantom. Nächtelang hatten sie darüber diskutiert. Bosmans hatte sich selbst als warnendes Beispiel hingestellt, daran erinnerte er sich noch, als sei es gestern gewesen.
Das Telefon klingelte.
»Bosmans, hallo?«
[home]
13
I n seiner Küche, ungefähr fünf Kilometer von Bosmans’ Büro entfernt, aß Pastor Hermans ein Brot mit frischem, selbstgemachtem Presskopf. Dazu trank er einen Schluck von dem Clos d’Eglise, langsam und genüsslich. Josef Hermans ließ es sich gut gehen.
Ein alter Mann mit einem grauen Kittel, der ihm unförmig um den buckligen Rücken hing, kam in die Küche geschlurft. Josef Hermans spürte, wie es ihm kalt den Rücken hinunterlief, drehte sich jedoch nicht um. Der Mann kam näher und fragte: »Haben Sie noch einen Wunsch, Mijnheer Pastor?«
Pastor Hermans drehte sich langsam um, hielt prüfend sein Glas gegen das Licht, das durch das Küchenfenster fiel, und fragte: »Meinst du etwas Bestimmtes, Marcel?«
»Nein. Für die Messe morgen ist alles fertig.«
»Möchtest du ein Gläschen Wein?«
Der Küster schüttelte das graue Haupt.
»Ein Butterbrot mit Presskopf?«
Josef Hermans nahm ein zusammengeklapptes Butterbrot von dem Frühstücksbrettchen und faltete es auseinander. Der Küster schaute es an, rümpfte die Nase und schüttelte angewidert den Kopf. Hermans spürte eine pochende Erektion. Gut, dass der weite Pullover über seine Jeans hing.
»Komm schon, Marcel, lang zu! Selbstgemacht.«
»Ich dachte, Sie wären Vegetarier, Mijnheer Pastor?«
Josef Hermans spürte einen Kloß im Hals und hustete, riss sich aber sofort wieder zusammen.
»Ausnahmen bestätigen die Regel, Marcel. Ein unschuldiges Stückchen Fleisch hin und wieder darf man sich schon genehmigen.«
»Sozusagen jungfräuliches Fleisch, Mijnheer Pastor?«, flüsterte der Küster und entblößte dabei seine gelben Pferdezähne, die einen scharfen Kontrast zu seinen hochroten Wangen bildeten.
»Pfui, Marcel!«, scherzte Josef Hermans, biss mit Appetit in sein
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