Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
hatten ihn an einer roten Ampel aus dem Wagen gezerrt und zusammengeschlagen. Sie hatten den Mann, einen Ausländer mit kurzgeschorenen schwarzen Haaren und einer Hakennase, geprügelt und getreten, bis er sich nicht mehr rührte.
»Bald kommt es wieder zu Straßenschlachten in den Ausländervierteln«, murmelte Bosmans und fragte sich, ob der echte Luyten eine Überlebenschance hätte, wenn Passanten ihn erkennen würden. Er kippte seinen Cognac hinunter, nahm die rote Mappe zur Hand, auf der fett »Harry Luyten« stand, und schlug sie auf.
Die Fingerabdrücke Luytens stimmten nicht mit denen überein, die an den beiden Tatorten gefunden worden waren, und das Blut in den Kehlen der Opfer hatte Blutgruppe A positiv, während Luyten A negativ hatte.
Bosmans bezweifelte, dass der DNA -Vergleich, der mit Hilfe einer Haarprobe aus Harrys Bürste angefertigt wurde, irgendein Ergebnis bringen würde. Doch egal, wie viele Widersprüche sie entdeckten, er wusste, dass das alles keinen Sinn hatte. Solange Luyten nicht gefunden wurde, würde die Hetzkampagne rund um seine Person kein Ende nehmen.
Gestern, auf der Pressekonferenz, die Verspaille persönlich gegeben hatte – wenn es die Lorbeeren einzuheimsen galt, war er stets zur Stelle –, war die Situation völlig aus dem Ruder gelaufen.
Die anwesenden Reporter hatten die Rednertribüne gestürmt, und diese war unter dem Gewicht zusammengebrochen. Verspaille wurde mit einer ausgekugelten Schulter hinausgebracht.
Bosmans fluchte herzhaft und schaltete den Fernseher aus, als die Bilder in Zeitlupe über den Bildschirm flimmerten.
Er seufzte und vertiefte sich wieder in seinen Bericht. Die Untersuchung von Luytens Apartment und seinen persönlichen Gegenständen war noch immer nicht abgeschlossen und versprach, eine harte Nuss zu werden. Luyten erwies sich als manischer Sammler. Alles hob er auf: Aldi-Kassenbons, Durchschläge von Überweisungen, Gewerkschaftsblättchen, leere Telefonkarten, Rosenkränze, Streichholzschachteln, alte Bibeln … unfassbar, was sich alles in Luytens Schränken verbarg. Dutzende Schuhkartons mit Krimskrams hatten sie rausgeholt und jeden noch so kleinen Hinweis überprüft. Quittungen von Zahlungsanweisungen, TÜV -Rechnungen und so weiter. Sie überließen nichts dem Zufall.
Bosmans musste unwillkürlich lächeln, als er las, dass man sogar Luytens Friseur vernommen hatte, weil er Harry ein nichts sagendes Dankesschreiben geschickt hatte. Es stellte sich heraus, dass Harry ihm lediglich ein Bußgeld wegen Falschparkens erlassen hatte.
Bosmans klappte die Mappe zu und begann, Zeitung zu lesen. Die ersten drei Seiten waren dem »Schlächter« gewidmet. Bosmans trank noch einen Schluck von seinem Cognac. Nach gründlicher Überlegung waren er und Deleu gestern Abend zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei Luyten so gut wie sicher nicht um den »Schlächter« handelte. Zwar kam er durchaus für den Mord an den beiden Teenagern in Eppegem in Frage, doch weder das Stilett noch das Filetiermesser waren bisher gefunden worden.
Als das Telefon klingelte, warf Bosmans die Zeitung achtlos in den Papierkorb, schaute wehmütig das Foto von Maud und den Kindern auf seiner Schreibtischecke an und griff seufzend zum Hörer.
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24
A ls endlich alle Altkleidersäcke auf der Ladefläche ihres Pick-up-Trucks aufgestapelt waren, bemerkte Annelies kurz vor dem Schließen der Schiebeklappe, dass hinten im Container noch ein großes Paket lag. Sie beugte sich vornüber und zog daran, doch es war zu schwer für sie.
Sie winkte ihrem Mann Fred, der lustlos am Steuer ihres Wagens saß und sich eine Zigarette drehte. Fred, der das Eppegemer Missionsnähkränzchen zutiefst verabscheute, kurbelte das Seitenfenster herunter und fragte: »Was ist denn nun schon wieder?«
»Jetzt sitz doch nicht einfach so da rum. Komm und hilf mir.«
»Es ist dein Hobby, Schatz. Habe ich heute etwa noch nicht genug gearbeitet?«
Annelies warf ihrem Mann einen vernichtenden Blick zu. Sie wusste, was als Nächstes kommen würde: zum hundertsten Mal ein versteckter Vorwurf, weil er arbeiten ging und sie nicht. Als sei die Erziehung zweier Kinder keine Arbeit. Sie drehte sich wütend um, stützte sich mit beiden Händen auf dem Container ab und seufzte.
»Was ist denn?«, fragte Fred in seinem typischen nörgelnden Tonfall.
»Das Paket da ist für mich zu schwer. Bitte hilf mir doch mal kurz. Ist das vielleicht zu viel verlangt?«
»Wenn es zu schwer ist, lass es doch
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