Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
liegen. Hast du nicht schon genug Zeug geladen? Mit den ganzen Klamotten könnt ihr hundert afrikanische Kinder zwei Jahre lang einkleiden.«
Annelies antwortete nicht und beugte sich nach vorn.
»Komm schon, beeil dich. Das Spiel fängt in einer Viertelstunde an.«
Fred schaute gelangweilt auf die Uhr.
»Was heißt in einer Viertelstunde, in zehn Minuten! Muss mein Hobby wieder mal hinter deinem zurückstehen? Jetzt lass das doch liegen bis nächste Woche.«
Annelies schüttelte den Kopf und seufzte. Erneut strengte sie sich an. Fred stieß einen lauten Fluch aus, klebte das Päckchen Belga zu, damit der Tabak nicht austrocknete, und stieg steifbeinig aus dem Auto. Er schob seine Frau beiseite und bückte sich, kam aber nicht ganz an die beiden Müllsäcke heran, die übereinandergeschoben und mit Schnur umwickelt waren. Er fluchte wieder, dachte: Warum hat der Blödmann nicht zwei Pakete daraus gemacht?, schob die Klappe weiter auf und lehnte sich in den Container hinein. Er fasste nach der Schnur, erwischte sie nach zwei fruchtlosen Versuchen endlich und spannte die Muskeln an. Doch er konnte das Paket kaum bewegen. Fred Pieters strengte sich an, wuchtete seinen Bierbauch über den Rand, fasste die Schnur mit beiden Händen und zerrte mit voller Kraft daran. Eine Explosion von geballtem Hass und aufgestauter Frustration. Der vordere Müllsack riss auf, und die toten Augen von Harry Luyten starrten Fred nichts sagend an.
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25
D e Staercke lehnte sich lässig zurück und grinste. Sein Rechtsanwalt, Josef Sonck, ein dünner kleiner Mann in einem zu weiten Burberry, der seine besten Jahre schon eine Weile hinter sich hatte, saß stocksteif da. Seine kleinen Augen huschten von rechts nach links. Er erinnerte Deleu an einen einsamen Aasgeier, der geduldig wartend über seiner sterbenden Beute kreist.
De Staercke strahlte siegessicheren Kampfgeist aus und wirkte dermaßen selbstbewusst, dass Deleu sich Sorgen machte. Eigentlich sah die Zukunft des Politikers alles andere als rosig aus, nachdem man die kompromittierende Kassette an Harrys Leiche gefunden hatte. Deleus Fingerspitzen kribbelten vor Spannung, als erwachten sie gerade. Er knetete unter dem Tisch seine Hände und wartete.
Jos Bosmans, der diese Begegnung organisiert hatte, holte die Kassette aus der Innentasche seines Jacketts, hielt sie demonstrativ hoch, schwenkte sie kurz nach rechts und links und legte sie in den Kassettenrecorder ein.
Die vier Männer hörten sich aufmerksam die Aufnahme an, auf der deutlich zu hören war, dass De Staercke Luyten hunderttausend Euro anbot, wenn er die Vermisstenanzeige von Verbist unterschlüge. Der Recorder schaltete sich mit einem vernehmlichen Klicken ab, und mindestens eine Minute lang sagte keiner der Anwesenden ein Wort.
Nico De Staercke stützte sich auf den Ellbogen ab, erhob seinen schwerfälligen Körper und öffnete die dicken Lippen. Rechtsanwalt Sonck legte ihm in einer fließenden Bewegung eine Hand auf die Brust. De Staercke schloss prompt den Mund wieder, ließ sich auf seinen Stuhl sinken und schaute Sonck mit seinen wässrigen Augen fragend an.
»Sie verstehen, Mijnheer De Staercke, dass wir der Sache auf den Grund gehen müssen und dass Sie sich nicht in der Position befinden, irgendwelche Forderungen zu stellen«, sagte Bosmans.
»Das bezweifle ich«, erwiderte Josef Sonck gelassen.
»Könnten Sie das bitte näher erläutern?«
»Vorher noch eines, meine Herren. Wenn von unserem vertraulichen Gespräch hier auch nur das Geringste an die Öffentlichkeit gelangt, hängen wir die Sache an die große Glocke.«
Bosmans grinste und rieb sich die Augen. Deleu verspürte eine nagende Unsicherheit. Er wusste, dass Nico De Staercke nicht der Macho war, für den er sich gerne ausgab. Sie mussten also ein Ass im Ärmel haben.
»Na schön«, sagte Sonck. »Spielen wir also mit offenen Karten, meine Herren. Ihr Kollege …« Sonck zwirbelte eine Spitze seines grauen Schnurrbarts und schaute Deleu kalt an, »… der hier anwesend ist, um den geht es.«
Er blickte Bosmans an, ohne mit der Wimper zu zucken, legte eine dramatische Pause ein, holte seinerseits eine Kassette aus der Innentasche seiner Jacke und legte diese auf den Tisch.
»Ihr Kollege Deleu, Mijnheer Untersuchungsrichter, hat ein Verhältnis mit einer Zeugin.«
Die Mitteilung schlug ein wie eine Bombe. Nico De Staercke schaute Deleu genau in die Augen und grinste. Deleu biss sich auf die Unterlippe und warf Jos Bosmans einen
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