Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
Robert Vanfleteren registriert? Du kannst es mir ruhig sagen. Sünden sind dazu da, um vergeben zu werden«, flüsterte Hermans salbungsvoll.
Harry massierte sich kurz den Nasenrücken mit beiden Zeigefingern, schaute hinauf zur Decke des Beichtstuhls, als wolle er davonfliegen, und murmelte: »Dieser Politiker, De Staercke, hatte mich vorher angerufen und mir Geld geboten, wenn ich die Anzeige verschwinden ließe. Peter Verbist wusste, dass seine Frau schwanger war, und er wusste, dass sie ein Verhältnis mit De Staercke hatte. Deswegen.«
»Aha. Jetzt sind wir wieder auf derselben Wellenlänge. Und, war das so schwer?«, flüsterte Josef Hermans in väterlichem Tonfall, während er Harry aus der Dunkelheit heraus anstarrte wie eine mordlüsterne Giftschlange, die geduldig auf einen falschen Schritt ihres Opfers wartet. Er ließ eine der langen dicken Stricknadeln, mit denen seine Großmutter extra warme Pullover für ihn strickte, damit er im Schuppen nicht erfror, liebevoll zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her gleiten und steckte schließlich die Spitze in eine der Ecken des Gitters, das Beichtvater und Sünder trennte.
Die kindliche Erleichterung, die sich auf Harry Luytens Gesicht widerspiegelte, ekelte ihn an.
»Gut, und welche Komplikationen haben sich daraus ergeben?«
»Ich dachte, die Anzeige sei irreparabel gelöscht, aber ein Fachmann von außerhalb, ein Ingenieur von Bell, hat die Datei rekonstruiert.«
Was Harry erzählte, war die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Eddy Opdebeeck, Dirk Deleus Jugendfreund, hatte es mittels einiger fachkundiger Kunstgriffe tatsächlich geschafft, die gelöschte Anzeige zu rekonstruieren. Der Verdacht gegen Robert Vanfleteren, der am fraglichen Tag frei hatte und außerdem gar nicht über das technische Knowhow verfügte, die Daten im Polizeicomputer derart zu manipulieren, wurde sofort fallen gelassen. Jos Bosmans wollte auf der Stelle sämtliche Kollegen aus Zemst der Reihe nach vernehmen, doch Dirk Deleu bat ihn, noch ein wenig zu warten. Er hatte zunächst Pastor Hermans Fotos von jedem Beamten gezeigt, und in diesem Augenblick war er unterwegs zu Mariette Pauwels. Aber das konnte Harry Luyten, der Mörder der beiden Teenager in Eppegem und die rechte Hand von Pastor Hermans in dessen Kampf gegen den Sittenverfall, natürlich nicht wissen.
Pastor Hermans hatte erklärt, dass er in keinem der Beamten den Mann wiedererkenne, dem er beim Verlassen von Mariette Pauwels’ Haus begegnet war. Doch dieses eine Foto hatte ihm durchaus mehr Kopfzerbrechen als gewöhnlich bereitet. Es zeigte Harry, als er sein Haar noch lang und glatt nach hinten gekämmt trug, wodurch seine Habichtsnase noch stärker auffiel.
Er musste sich zwingen, Deleu nicht weiter nach dem Grund auszuhorchen, warum er ihm gerade diese Fotos zeigte, denn er befürchtete, der Inspecteur könne Verdacht schöpfen.
Sofort nach Deleus Besuch hatte er Harry in die Kirche bestellt, um herauszufinden, was genau los war. Er hatte Harry aufgetragen, sein Auto stehen zu lassen, darauf zu achten, dass er nicht beschattet wurde, sich unauffällig in die Kirche zu setzen und zu warten, bis der letzte Sünder gebeichtet hatte.
Bereitwillig wie immer hatte Harry Hermans’ Befehle genauestens befolgt. Er hatte sich ans Ende der Reihe der Wartenden gesetzt, und als nach ihm noch jemand kam, war er geduldig eine Runde spazieren gegangen. Als er wieder zur Tür hereinschaute und sah, dass nur noch eine junge Frau auf der Bank saß, hatte er sich neben sie gesetzt, und als sie aufschaute, eine Bemerkung gemacht, die sie offenbar nicht witzig fand, denn sie drehte stumm den Kopf weg. Er scherte sich nicht darum, denn auf ihn wartete eine erhabenere Aufgabe, als mit jungen Frauen zu schäkern.
Harry hegte im Stillen die Hoffnung, dass Pastor Hermans, den er vergötterte, ihn irgendwie in das Haus Gottes aufnehmen würde. Er wusste nicht genau, wie, aber er hatte vollstes Vertrauen in den Pastor, dem er hin und wieder einen Wink mit dem Zaunpfahl gab. Zum Beispiel, dass Marcel, der Küster, doch allmählich alt würde. Aber der Pastor war bisher nicht darauf eingegangen.
Momentan erledigte Harry nur ab und zu Gelegenheitsarbeiten für ihn, mal mehr, mal weniger schwierig. Für den Pastor scheute er keinerlei Mühen: Schließlich hatte sich Hermans damals als Einziger seiner angenommen nach dem verdammten Sonntag. Jenem schicksalhaften Sonntagabend, an den er sich bis heute in allen Einzelheiten
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