Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
klingen.
»Der Küster, Piet Palinckx, er arbeitet schon seit über zwanzig Jahren in unserer Gemeinde. Ein ehrlicher Mann und sehr gutherzig. Er ist zwar ab und zu einem Gläschen Wein nicht abgeneigt, aber ansonsten sind wir mit ihm als Küster sehr zufrieden.«
»Wo kann ich ihn erreichen, Mijnheer Pastor?«
»Da liegt ja das Problem. Piet ist sechsundsiebzig und geht meistens mit den Hühnern zu Bett. Ich weiß nicht, ob er um diese Zeit …«
»Würden Sie ihn bitte anrufen?«, unterbrach Deleu den Pastor.
»Nun ja, wenn es wirklich sein muss, wage ich einen Versuch.«
Im Nu fand der Pastor die Nummer in seinem elektronischen Kalender. Deleu war beeindruckt. Was für eine Effizienz!
Der Pastor wählte die Nummer und wartete geduldig. Es dauerte eine Ewigkeit. Nach zwei Minuten legte er auf.
»Er schläft schon. Es hat keinen Sinn.«
»Bitte, versuchen Sie es doch noch ein Mal!«
Johan Devriendt murmelte etwas Unverständliches und rief erneut an. Nach drei Minuten fing er an zu reden. Deleu schloss die Augen und spitzte die Ohren.
»Piet?«
»Ja, Piet, ich bin’s, Pastor Devriendt.«
»Ja, Ihr Mijnheer Pastor. Entschuldigen Sie, dass ich Sie so spät aus dem Bett klingele, aber ich habe hier jemanden von der Polizei, der …«
»Ja, von der Polizei.«
»Nein, Piet, es geht nicht um Sie, er will nichts von Ihnen. Der Mijnheer würde Sie nur gern etwas fragen.«
»Nein, Sie brauchen keinen Anzug anzuziehen.«
»Ja, Sie können den Schlafanzug ruhig anbehalten.«
»Gut, er ist in zwanzig Minuten bei Ihnen.«
»Okay.«
»Tschüs, Piet. Ja, bis morgen. Ja, in der Sakristei ist er gut aufgehoben. Nein, er soll nicht zu kalt stehen.«
Der Pastor legte den Hörer auf und gab Deleu die Adresse von Piet Palinckx, ja, er machte sich sogar die Mühe, eine kleine Wegskizze anzufertigen. Deleu änderte seine Meinung über den Pastor und dankte ihm beim Abschied geradezu überschwänglich.
Als die Tür von Piet Palinckx’ Arbeiterhäuschen endlich aufging, wäre ihm Deleu beinahe um den Hals gefallen.
»Was gibt’s?«, krächzte der zahnlose Mund.
»Guten Abend, Mijnheer Palinckx, mein Name ist Dirk Deleu. Der Pastor hat mich zu Ihnen geschickt, Pastor Devriendt.«
»Vriendt? Welcher Vriendt?«
»Der Pastor! Pastor Devriendt!«
»Ach so, natürlich. Kommen Sie doch rein. Oder wollen Sie draußen im Regen stehen bleiben?«
Deleu folgte dem alten Mann in dessen Wohnzimmer oder wie immer man es bezeichnen wollte. Der Küster raffte ein paar alte Zeitungen auf einem Stuhl zusammen und legte sie beiseite, setzte sich an den mit Krimskrams übersäten Esstisch und bot Deleu einen Platz an.
»Wie wär’s mit einem kleinen Genever?«
»Ach, warum nicht? Es ist wahrhaftig kalt genug draußen.«
Der Küster rumorte ein wenig in der Küche herum und kehrte mit zwei angestoßenen Schnapsgläsern und einer Flasche Zitronengenever zurück. Er schenkte die Gläser voll bis zum Rand und kippte seines hinunter, ohne einen Tropfen zu verschütten. Deleu wartete mit offenem Mund, aber das »Prost« blieb aus.
»Noch einer?«
Deleu, der den Küster mit dem Glas in der Hand angaffte, folgte endlich dessen Beispiel und schüttete das Zeug in sich hinein.
»Ach ja, ich nehme auch noch einen.«
Der alte Mann lachte mit seinem zahnlosen Mund, und Deleu spürte, dass er ihn richtig angepackt hatte. Der Küster mochte ihn leiden. Der Alte grinste und fragte: »Womit kann ich Ihnen dienen, Mijnheer Inspecteur?«
»Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen über Pastor Hermans stellen, Josef Hermans. Erinnern Sie sich noch an ihn?«
»Hermans, das ist lange her. Aber natürlich erinnere ich mich an ihn. Ja, ja, den Jef, den habe ich gut gekannt. Der hatte das Herz am rechten Fleck.«
Deleu griff schon nach dem Foto in der Innentasche seines Mantels, beschloss dann jedoch, den alten Mann erst einmal erzählen zu lassen.
»Sie haben nicht zufällig noch ein Foto von dem Pastor?«
»Doch, natürlich, von ihm, von den vieren vor ihm und von den beiden nach ihm. Ich überdauere sie alle. Jef war eigentlich der beste. Er hat viel Pech gehabt, aber nun ja, er konnte ja nichts dafür.«
Bevor Deleu auf den letzten Satz näher eingehen konnte, schlurfte der Küster schon zum Büfett. Er wühlte in einer überfüllten Schublade herum und kehrte schließlich mit einem lädierten Fotoalbum zurück.
»Hier, ich habe noch Fotos aus der Zeit. Schauen Sie nur.«
Deleu nahm das Album zur Hand und blätterte darin
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