Bosmans/Deleu 02 -Totenspur
Dokumenten vom vierundzwanzigsten abgelegt worden. Deshalb.«
Nadia wirkte abwesend und sah nicht einmal auf.
»Endlich kommt ein bisschen Schwung in die Ermittlungen, und trotzdem habe ich das Gefühl, dass der Fall uns immer mehr entgleitet«, sagte Deleu, rieb sich die Hände und blies über seine heiße Schokolade.
Halb acht. Feierabend. Deleu hatte seine Kollegin noch zu einem Umtrunk im De Vuile Poort eingeladen,einer Kneipe am Ufer der Dijle. Sie gehörte einem seiner früheren Schulkameraden.
»Du hast recht«, sagte Nadia Mendonck und starrte durch die teils gefrorenen Scheiben hinaus in den klaren Himmel. »Mist! Ich glaube, ich habe mir eben beim Aussteigen den Fuß verknackst, mein Knöchel tut höllisch weh.«
»Tigerbalsam«, sagte Deleu. »Reibe ihn mit Tigerbalsam ein, nimm eine Schmerztablette, und morgen merkst du nichts mehr davon.«
Seine Kollegin musterte ihn mit gerunzelter Stirn und erwiderte: »Glaubst du vielleicht, ich hätte eine komplette chinesische Apotheke im Haus?«
»Hallo, Doktor Watson und Sherlock Holmes, wollt ihr mal ein bisschen in das wahre Leben reinschnuppern?«, polterte der Wirt und kam mit zwei dampfend heißen Schnapsgläsern zu ihnen an den Tisch. »Hier, auf Kosten des Hauses. Davon werden eure kalten Knochen schlagartig wieder warm.«
Er deponierte die winzigen Gläser mit dem tintenschwarzen, sirupartigen Inhalt auf dem Tisch und blieb mit erwartungsvoller Miene daneben stehen.
Mit skeptischem Blick taxierte Deleu das Schnapsglas und schwenkte es vorsichtig. Das Höllengebräu blieb an den Glaswänden kleben. Er wusste, dass er es in einem Zug hinunterstürzen musste, sonst würde ihn sein Schulfreund, ein begeisterter Hobby-Alchimist und berüchtigter Brüllaffe, vor allen Gästen lächerlich machen.
»Verkaufst du eigentlich immer noch Versicherungen?«, fragte Deleu, bekreuzigte sich mit der freien Hand und hob das Glas an die Lippen.
»Na klar, du glaubst doch nicht etwa, dass ich mit dem Hungerlohn überleben könnte, den mir der Laden hier einbringt?«, dröhnte der Tenor des Kneipenwirtes durch den Schankraum.
Sofort drehten einige Gäste die Köpfe in ihre Richtung. Deleu kippte das undefinierbare Zeug in einem Zug runter. Doch das hätte er besser nicht getan. Tränen traten ihm in die Augen, und ihm war, als würden ihm die inneren Organe mit Widerhaken zum Hals herausgezogen. Er atmete durch die Nase aus, was das Brennen nur noch verstärkte.
Die Wangen aufgeblasen wie ein paarungsbereiter Frosch, verkniff sich Nadia Mendonck krampfhaft das Lachen. Deleu drückte ein Taschentuch vor den geöffneten Mund, und nach etwa zwei Minuten hatte er sich wieder gefangen. Er verpasste seinem schallend lachenden Schulkameraden einen kräftigen Schlag auf den Bauch, der unter der zu engen Jacke hervorquoll.
Der Wirt wehrte den Schlag ab, verzog das Gesicht zu der für ihn typischen urkomischen Grimasse, wandte sich der kichernden Nadia zu und sagte: »Komm schon, Mädchen, ein Leckerchen ganz umsonst!«
»Nein, vielen Dank«, antwortete sie und schob dem Wirt das Glas zu, der blitzschnell danach griff und es noch schneller hinunterkippte. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper, sondern lachte, dass man sein gelblichesPferdegebiss sah, und flüsterte: »Schon gut, ich nehm’s dir nicht übel.«
Mit dem würde sich Rutger sicher gut verstehen, dachte Nadia, konzentrierte sich kopfschüttelnd auf ihre Erbsensuppe und behielt Deleu heimlich im Auge. Nach zwei Minuten nahm sie den Faden ihres unterbrochenen Gesprächs wieder auf.
»Jos Bosmans wirkt irgendwie gar nicht wie ein Untersuchungsrichter, eher wie ein normaler Inspecteur oder Commissaris.«
Deleu rieb sich noch einmal über die brennenden Lippen und antwortete lachend: »Stimmt, er ist erstaunlich normal geblieben.« Während er die vergilbte Blümchentapete anstarrte, fuhr er fort: »Jos ist ein ganz besonderer Mensch. Ich kenne ihn schon seit vielen Jahren, und …«
Als er nicht weiterredete, hob Nadia Mendonck den Blick und betrachtete Deleus nachdenkliches Gesicht. »Darf ich dich mal was fragen, Dirk?«
»Klar.«
»Wir arbeiten doch jetzt schon seit einer ganzen Weile zusammen …«
»Hmhm.«
Sie räusperte sich. »Na ja … manchmal frage ich mich, ob du vielleicht Probleme damit hast.«
Verwirrt blickte Deleu sie an: »Probleme? Womit denn genau?«
»Komm schon, Dirk, du weißt genau, was ich meine! Ein Mann über vierzig, der fast täglich mit einer jungenFrau unterwegs ist. Denkst
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