Bosmans/Deleu 03 -Ins blanke Messer
angesichts des hohen Maßes an Taktlosigkeit unwohl.
Ongenae ließ sich allerdings nicht aus dem Konzept bringen. Er war der Racheengel, der Mann, vor dem alle Polizisten draußen im Einsatz zitterten.
»Verstappen«, sagte er nun honigsüß, »würden Sie sagen, dass Ihr hier anwesender Kollege Vindevogel unter einem Sehfehler leidet?« Ongenae drückte sich gern ein wenig umständlich aus, ein probates Mittel, um seine Gegenpartei ungestraft zu reizen. Alle ärgerten sich darüber, doch niemand hatte es je gewagt, sich darüber zu beklagen.
Verstappen blies zwei Mal die Wangen auf, als wolle er seine Worte schmecken, bevor er sie ausspuckte. »Tja, Mijnheer, was heißt schon Sehfehler? Er braucht zum Lesen eine Brille, wenn Sie das meinen.«
»Der König der Bogenschützen braucht eine Brille«, grinste Ongenae und blickte sich Beifall heischend um. Tatsächlich grinste Janssens, so dass man sein rosa Zahnfleisch sah und sich über seine Stirn tiefe Furchen zogen. Pierre Vindevogel saß da wie ein geprügelter Hund.
»Das tut doch nichts zur Sache!«, erwiderte Jan Verstappen aufgebracht, und sein Gesicht lief rot an.
»Alles tut hier etwas zur Sache, Mijnheer Verstappen«, blaffte Janssens, warf einen Blick zur Seite und spürte intuitiv, dass Ongenae auf seiner Seite war.
Der richtige Zeitpunkt zum Zuschlagen!
»Sogar, dass Sie der Schwiegersohn des berühmt-berüchtigten ehemaligen Staatsanwalts Verspaille sind, tut hier etwas zur Sache«, fuhr er fort, den geschwollenen Tonfall seines großen Vorbildes imitierend. Jan Verstappen lief puterrot an. Er sah seinen Vorgesetzten Schepers an, doch der rekelte sich nur träge in seinem Stuhl und kniff die Augen zu.
»Was haben Sie, Mijnheer Vindevogel, in dem Augenblick empfunden, als Sie sich bei der Verfolgungsjagd die Nase brachen?«, fragte Malcorps, der Pharisäer aus dem Justizministerium, wie ein erfahrener Psychologe.
»Schmerzen«, antwortete Pierre lakonisch.
Jan Verstappen, in dessen Körper die aufgestaute Spannung vergebens ein Ventil suchte, war kurz davor, laut loszulachen, doch seine Stimmbänder produzierten lediglich ein nervöses Kichern.
Ongenae wandte den eckigen Schädel in seine Richtung. »Sie finden das amüsant, Inspecteur?«
Jan Verstappen presste die Lippen aufeinander, denn er spürte, worauf die Herren hinauswollten. Schepers hatte den Mund noch immer nicht aufgemacht.
Zehn nach drei. Schon ein drei viertel Stunden hocken wir in dieser Sauna hier.
»Sie haben doch noch einen Moment Zeit, Mijnheer Verstappen?«, bemerkte Janssens ironisch und griff träge nach seinem Glas Mineralwasser.
»Schön«, sagte Ongenae und pulte sich am Ohr. »Fassen wir mal zusammen.« Er studierte die Kuppe seines Zeigefingers. »Also, meine Herren, Sie haben diesen jungen Ausländer mit dem Auto verfolgt. Diesen meines Wissens nach absolut unbescholtenen jungen Mann. Sie schnitten ihm den Weg ab und trieben ihn in die Lagerhalle.« Er legte die gespreizten Hände flach vor sich auf den Tisch und schwieg für einen Moment. »Hätten Sie auch dann geschossen, wenn es sich nicht um einen Ausländer, sondern um einen Belgier gehandelt hätte, Mijnheer Vindevogel? Mir sind da gewisse Gerüchte zu Ohren gekommen.«
Die hinterhältige Bemerkung traf Jan Verstappen völlig unvorbereitet. Pierre rutschte nach vorn auf die Stuhlkante, schwieg jedoch weiterhin. Die Anspannung hatte ihre Spuren auf seinem Gesicht hinterlassen, und er wirkte auf einmal um zehn Jahre gealtert.
»Stimmt es weiterhin, Mijnheer Vindevogel, dass Sie im Wagen zu Ihrem Kollegen gesagt haben, Sie würden es diesem Ausländer schon noch heimzahlen?« Ongenae rollte mit seinen massigen Schultern. »Mijnheer Verstappen?«
»Das habe ich nie gesagt!«, rief Verstappen. »Das ist völlig aus der Luft gegriffen«
»Es steht aber im Protokoll«, brüllte Ongenae seinerseits.
»Das habe ich gar nicht …«, wagte Pierre einen schwachen Versuch.
»Das hat verdammt noch mal sogar in der Zeitung gestanden!«, blaffte Janssens.
Als wieder Ruhe eingekehrt war, schloss Ongenae feierlich die Manschettenknöpfe seines Hemdes und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Inspecteur Vindevogel, Sie können sich jetzt entfernen«, sagte er dann kurz angebunden.
Pierre warf noch einen letzten Blick auf Verstappen und schlurfte mit hängenden Schultern zur Tür. Ohne sich noch einmal umzusehen, ging er hinaus auf den Flur. Hoofdinspecteur Schepers starrte noch immer auf seine Hände, die schlaff
Weitere Kostenlose Bücher