Bosmans/Deleu 04 -Todeswahn
Schläfen.
Der verschwommene Schatten nimmt Gestalt an, wird beängstigend schnell kleiner. Wird dann wieder größer. Ein Mensch nähert sich. Ich bin nicht mehr allein. Werde nie wieder allein sein. Soraya, meine afrikanische Prinzessin. Sie wartet. Im schwachen Lichtschein des Fahrradunterstandes. Die Straßenlaternen färben ihr lockiges Haar blutrot.
Mein Gott, wie schön sie ist!
Ah, sie geht in Richtung Brusselsesteenweg. Sie sucht Ricardo. Ricardo und sein
BMW
Cabrio. Ich reibe über meine Zähne. Ich zögere. Soraya hat so schöne weiße Zähne!
Auf dem Foto war tatsächlich sie selbst gewesen.
Alles war echt.
Echt, echt, echt.
Ich kneife mir in den Arm.
Ich richte mich auf, mit knackenden Knien. Meine Brustmuskeln verkrampfen sich.
Ich folge ihr, erst unschlüssig, dann zielstrebig. Ich bestimme, was geschieht. Sie spürt meine Gegenwart. Ich spüre ihre Unsicherheit. Ich choreographiere diesen Tanz. Choreograph für eine Nacht.
Sie sieht mich.
Sie erstarrt.
Ich will meine Hand heben, halte aber mitten in der Bewegung inne, als ich ihr vor Angst verzerrtes Gesicht sehe.
Soraya, Baby, ich bin’s doch, Ricardo!
Am liebsten hätte ich es laut hinausgeschrien.
Aber die Worte bleiben mir im Halse stecken.
Sie beschleunigt ihre Schritte.
Ich beschleunige meine Schritte.
Ich treibe sie zum Jagdpfad.
Sie blickt sich nicht um.
Ricardo mit seinem dichten schwarzen Schopf und den blitzenden weißen Zähnen ist nirgendwo zu sehen.
Sie blickt sich nicht um.
Sie spielt ihre Rolle.
Jeder von uns ist dazu verdammt, seine Rolle zu spielen. Nur ich nicht, ich spiele keine Rolle. Heute habe ich mich entschieden, ich selbst zu sein.
Sie wird langsamer.
Sie ist müde.
Ich werde langsamer.
Ich nähere mich.
Ihre schimmernde Haut.
Ich rieche frischen Moschus.
Verbist öffnete unwillkürlich den Mund. Er schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und leckte sich über die Lippen.
Sie streckt die Arme aus. Ihre schlanken schwarzen Hände beben. Zitternde Finger. Sie bleibt stehen. Endlich. Ich lächle zärtlich. Sie runzelt die Stirn und sieht mich an. Verzweiflung in den großen Haselnussaugen. Sie duftet nach …
»Aaaaaaahhhh …«
Moschus und Parfüm. Mein Herz klopft zum Zerspringen. Ich möchte sie umarmen. Ihre vollkommen sinnliche Weiblichkeit. Dieses Keuchen. Ich kann nichts dagegen tun. Ich wünschte, ich wäre Ricardo! Aber sie weiß es. Das sehe ich ihrem verkrampften Mund an. Sie ist verzweifelt.
»Hab keine Angst, Soraya … ich bin’s, Baby … ich bin’s.«
Herman Verbist wurde am ganzen Körper stocksteif. Sein Kopf kippte zur Seite, und ein Adrenalinstoß schickte ihm vor hilflosem Grauen eine Gänsehaut über den Rücken.
Ihr Schrei hallt durch die sternenlose Nacht. Ich presse beide Hände auf die Ohren. Schwitze unter den Achseln. Tränen laufen mir über die Wangen. Sie schreit wie ein abgestochenes Schwein. Ich packe sie an den Handgelenken. Umarme ihren bebenden Leib. Lege einen Arm um ihre Schulter. Sie zappelt. Ich lege eine Hand auf ihren Mund. Sie beißt mich. Scheinwerfer durchbohren die Dunkelheit. Ein Auto nähert sich auf dem Brusselsesteenweg. Ich stoße sie ins Gras. Sie zittert am ganzen Körper. Ich habe Schmerzen. Beiße mir in den Arm. Nicht schreien. Nicht jetzt!
Verbist hieb die Fäuste mit den Knöcheln aneinander und schüttelte wild den Kopf hin und her.
Sie zittert. Flehende Augen. Feste Brüste. Sehnlicher Lebenswille. Ich schließe die Augen und drücke zu. Wild, mit aller Kraft. Sie zappelt. Ganz kurz nur. Ich liebe sie. Ich knie mich auf ihre Arme und presse mein Gesicht gegen ihres. Sie erschlafft. Ich lecke über ihre salzige Wange. So ist es gut. Ein letztes Zittern überläuft sie von Kopf bis Fuß. Ich werde unverwundbar. Ich löse meinen Griff und beobachte meine Hände. Sie zittern nicht. Das Messer blitzt im Mondlicht. Ich sehe zu, wie es ruckartig, ganz von selbst, durch ihre Kehle fährt. Ich bin nicht da. Nicht mehr. Die Spitze stößt gegen einen Stein. Die Magie ist dahin.
Ich erwache.
Kniend liebkose ich ihren Kopf, das hübsche Gesichtchen meiner Liebsten. Ihre Locken in meinem Schoß. Ich vertraue ihr meine tiefsten Seelengeheimnisse an.
Ricardo ist jetzt bei dir, Baby.
Alles geht wie von selbst. Zwanzig, fünfundzwanzig Jahre Lebensgeschichte sind mit einem Schlag wie weggefegt. Ich bin der Allmächtige, der Allerhöchste.
»Ehre sei Gott, dem Vater, der mich
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