Bosmans/Deleu 04 -Todeswahn
bisschen betrunken, hören Sie nicht auf ihn«, mischte sich Verbist ein, in dem Versuch, den Streit zu schlichten.
Die beiden alten Männer wandten sich jetzt wütend dem neuen Quell des Ärgernisses zu.
»Halt du bloß die Klappe, Rotznase, das geht dich gar nichts an!«, polterte Marcel.
»Marcel hat recht, wenn du Streit suchst, fliegst du raus!«
Verbist wurde mulmig, und er stellte die Schachtel auf den Tisch.
»Hier, ein Geschenk für Sie.«
Juul schaute in die Schachtel, ballte die Faust und holte weit aus. Die Federn stoben in alle Richtungen.
»Ich lasse mich nicht bestechen, ich habe von keinem Bauern im Krieg Gemüse angenommen, von keinem!«
Drohend stand er auf.
Verbist eilte zur Tür, Verwirrung und panische Angst in den Augen.
Eine schallende Lachsalve war das Letzte, was er hörte. Er zitterte und musste sich am Treppengeländer festhalten. Wichtchen zappelte und weinte. Verbist blickte das Baby an, schien es aber nicht zu sehen. Sein Blick war unendlich traurig.
Die arme Taube. Es ist meine Schuld. Das Tierchen hat keinem etwas zuleide getan, und jetzt liegt es tot in dieser dreckigen Wohnung.
Herman Verbist griff sich mit schmerzverzerrtem Gesicht in den Nacken.
Nackenkrämpfe, ein schlechtes Zeichen. Bin in letzter Zeit ziemlich nervös. Sehe überall Gefahren, an jeder Straßenecke, jedem Zeitungskiosk, im Supermarkt, überall. Ich habe keine Freunde. Bin nervös.
Zurück in seiner Wohnung versuchte er, den Vorfall zu verdrängen. Er schaltete den Fernseher ein und starrte auf den flimmernden Bildschirm. Wichtchen kreischte wie am Spieß, und ihr Ersatzpapa sank vor Kummer in sich zusammen.
»Eine Mama. Die brauchen wir, mein Schatz. Eine liebe Mama, die weiß, wo das Küchenpapier liegt.«
Verbists Lachen wirkte offenbar ansteckend, denn das Baby hörte auf zu weinen und sah ihn mit großen Augen an.
»Chris zum Beispiel.«
Wichtchen lutschte am Daumen.
»Ach, nein, die werden wir wohl nie wiedersehen. Welches junge Mädchen hat schon in irgendeiner Form Interesse an einem alten Sack mit Kind, selbst wenn sich der alte Sack ganz gut gehalten hat und das Kind wunderhübsch ist, mit blauen, verweinten Augen, runden, roten Bäckchen und einer süßen Locke im Haar?«
Er streichelte die Locke.
»Du bist zum Stehlen hübsch. Ich muss dafür sorgen, dass dich später mal niemand mitnimmt. Ich meine, du bist so schön, fast schon sinnlich. So ein Kind wie du, das lockt man mit einer Süßigkeit an. Jeder x-beliebige perverse Lustmörder kann so eine Kleine mit einem billigen Trick reinlegen. Und auf dich werden sie scharf sein. Unter Hunderttausenden potenzieller Opfer werden sie ihre perversen Blicke ausgerechnet auf mein Wichtchen werfen. Ja, das wird dir passieren. Ich darf gar nicht daran denken! Sobald du laufen kannst, muss ich dir ans Herz legen, dass du mit niemandem mitgehen darfst. Nicht einmal mit einer Frau. Ja, sobald du laufen kannst, Wichtchen, müssen wir ernsthaft mit deiner Erziehung beginnen«, sagte Verbist und schob damit wie gewöhnlich die Probleme vor sich her.
Er fasste Wichtchen unter den Achseln, hob sie hoch und hielt sie horizontal. Sie machte sich steif wie ein Brett.
Was für eine Körperbeherrschung!
Verbist ließ das Baby auf- und niederschweben und rief:
»Superwoman, here comes superwoman! Superwoman, here she comes again!«
Hoch und runter, hoch und runter.
Sobald ihre Füße den Boden berührten, streckte sie die Beine und lachte aus vollem Hals. Kerzengerade stand sie da und glühte förmlich vor Stolz.
Verbist strahlte.
Wichtchen kann stehen. Sie kann alleine stehen! Es dauert nicht mehr lange, und sie fängt an zu laufen. Nein, sie darf noch nicht laufen, sie würde mir davonlaufen. Das will ich nicht. Jetzt noch nicht.
Verbist lutschte am Daumen und legte das Baby auf den Bauch. Es strampelte und weinte.
»Was für eine Stimme in dem winzigen Körperchen! Stehen ist okay, Bauchlage ist unbeliebt, Rückenlage auch. Hmmm …«
Hunger!
Verbist hob den Zeigefinger, setzte Wichtchen in ihren Hochstuhl, schob diesen an den Tisch und suchte sich in der Küche etwas zu essen zusammen.
Wichtchen trommelte wild mit beiden Fäusten auf die Tischplatte.
Während er versuchte, der Kleinen begreiflich zu machen, dass Vati essen musste, weil er sonst sterben würde und Wichtchen dann ganz allein wäre, bestrich er ein Brot mit Margarine und Schokocreme.
Sie versteht es nicht, oder vielleicht ist es ihr egal, genau wie diesen braven Bürgern,
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