Bosmans/Deleu 04 -Todeswahn
summend an ihm vorbei. Als Deleu die Melodie erkannte, blickte er sich um.
»
La Solitudine –
Laura Pausini!«, rief er dem Mann hinterher. Doch der wandte das Gesicht ab und schlug hastig den Jackenkragen hoch. Er sah sich nicht um, sondern eilte mit großen Schritten davon.
Mit der Solidarität unter den Menschen ist es auch nicht mehr weit her.
Der Ermittler kratzte sich am Ohr. Diese Weisheit hatte sein Vater bei jeder Gelegenheit zum Besten gegeben. Er verdrängte den Gedanken und legte die letzten Meter bis zur Imbissbude im Laufschritt zurück.
Wieder einmal war es voll; sieben Wartende standen vor ihm in der Schlange. Deleu zog die Tür auf und zwinkerte der Wirtin zu, deren warmherziges Lächeln seine Laune beträchtlich verbesserte.
Doch plötzlich erstarrte Deleu und sah in Gedanken versunken zum Fenster hinaus. War es die lange spitze Nase des Wirtes, die den Geistesblitz ausgelöst hatte? Oder waren es die rotbraunen Haare der Wirtin in Verbindung mit der spitzen Nase ihres Mannes und den Fritten?
Fritten!,
durchfuhr es Deleu.
Die Dachkammer! Fritten! Diese Nase! Das ist er! Das ist er, verdammt noch mal!
Der Mann in der Holzfällerjacke, der auf halbem Weg die Eingangsstufen hinauf vergeblich nach der Türklinke griff, fiel rücklings auf das Straßenpflaster, obwohl er Bauarbeiter und ein trainierter Karatekämpfer war. Ehe er reagieren konnte, war Deleu bereits um die Ecke verschwunden.
Der Bauarbeiter fluchte und rappelte sich mühsam auf, rieb sich über den schmerzenden Ellbogen und betrat die Imbissbude.
»Idiot!«, fluchte er und fragte mit geballten Fäusten und gerötetem Gesicht: »Wer war dieser dürre Kerl da?«
»Mach dir nichts draus, Gustje, der meint das nicht so. Dabei ist er bei der Polizei. Aber die benehmen sich ja heutzutage alle so komisch.«
»Polizei, dass ich nicht lache! Dem hau ich eine rein, wenn ich ihn das nächste Mal sehe! Sagt mir Bescheid, wenn er auftaucht. Verdammt noch mal!«
Der Mann blickte sich streitsüchtig um.
»Jetzt beruhige dich mal. Du darfst vorgehen, oder hat jemand was dagegen?«
Als niemand Einwände erhob, rang sich der aufgebrachte Kraftprotz ein selbstzufriedenes Lächeln ab.
Dirk Deleu, der nach rechts gelaufen und dann in die Guldenstraat eingebogen war, blieb keuchend vor einem Sportgeschäft stehen. Er blickte sich mehrmals nach allen Seiten um.
In der Nauwstraat war noch etwas los, Jugendliche, die aus den Kneipen rund um den Fischmarkt strömten. Fluchend entschied sich Deleu für die Lange Schipstraat. Doch er wusste, dass seine Chancen schlecht standen.
Seine Lungen brannten wie Feuer. Er stützte sich mit beiden Händen an der rauhen Backsteinfassade ab und rang verzweifelt nach Luft.
Krank. Sterbenskrank bin ich.
[home]
Mittwoch, 26 . November – 21 Uhr 45
H erman Verbist, der in die andere Richtung gelaufen war und durch die Hoogstraat das Mietshaus in der Ziekenliedenstraat erreicht hatte, öffnete die Haustür. Als er Stimmen hörte, blieb er im schwach beleuchteten Flur stehen und lauschte.
Ganz langsam schlich er weiter bis vor Juuls Tür, wo sich Marcel mit einem farblosen Mann mittleren Alters unterhielt.
Herman Verbist blieb stehen. Er war nervös. Auf der Frittenverpackung hatten sich bereits Schwitzflecken gebildet.
Er fluchte verhalten, rührte sich aber nicht von der Stelle, von Zweifeln zerfressen, denn die Kondensflecken breiteten sich aus, wurden zu Teichen … Seen … Ozeanen … Er setzte sich in Bewegung, machte sich so klein wie möglich und versuchte, sich um den schwatzenden Marcel herumzuschleichen, aber es war zu spät. Marcel drehte sein runzliges Gesicht in seine Richtung.
»Ach, der Herman. Wie geht’s?«
»Gut.«
Resolut erklomm Verbist die Treppe.
»Warte mal!«, rief Marcel energisch.
Verbist atmete tief ein und aus und schnaufte. Der Frittenduft ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.
»Was ist denn?«
»Komm mal her.«
Verbist drehte sich verärgert um, aber Marcel bemerkte nicht, dass er ihm auf die Nerven ging.
»Das ist übrigens Chris.«
»Chris?«
»Ich bin der Sohn von Juul«, murmelte der verwelkte Mann um die vierzig. Er musterte Verbist von Kopf bis Fuß, und seine trüben Augen hinter den dicken Brillengläsern huschten hin und her. Dieser Mann war das verkörperte Klischee eines Junggesellen.
»Der Vater von Chrissie?«
»Nein, Juuls Sohn«, lallte Marcel, dessen Atem nach Alkohol stank.
»Chrissie?«, fragte der Vierziger
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