Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd
hatte. Nicht einmal ein Hauch Staub lag auf den Jungmädchenmöbeln. Welch eine unerträgliche Qual erlegte sich ihre Mutter hier auf – Woche für Woche nahm sie alle Sachen in die Hand, staubte sie ab und stellte sie mit einer liebevollen Geste wieder an ihren angestammten Platz zurück.
Deleu atmete tief durch und fuhr sich mit den Händen durchs Haar.
Mendonck pflückte drei Haare von seiner Schulter. »Du wirst kahl.«
Deleu ging auf diese Provokation nicht ein. Während er die Schublade des kleinen Schreibtischs aufzog, entdeckte er auf dem Fuß der Schirmlampe ein Herz, das jemand in den Ton hineingeritzt hatte. Als er näher herantrat, konnte er die Buchstaben M und J erkennen. »Wie hieß noch mal der Freund des Mädchens?«, fragte er mit einem raschen Blick über die Schulter und sah zu seiner Überraschung nur zwei Stiefel und ein Stück eines eleganten Frauenbeins.
Mendonck lag rücklings unter dem Bett.
»Dimitri.«
»Äh … was?«
»Dimitri Poels. So hieß der Junge.« Mendonck war nun vollständig verschwunden.
Mit einer Geste der Erschöpfung ließ Deleu das rosafarbene, parfümierte Briefpapier zwischen seinen Fingern rascheln. Zwei Kugelschreiber, eine Schere und ein Brieföffner. Er drückte die Schublade wieder zu und öffnete die Tür des Schranks. Ordentlich nebeneinander standen dort drei Aktenordner mit den Etiketten »Latein«, »Französisch« und »Mathematik«.
»Was machst du da unten?«
Mendonck saß inzwischen wieder auf dem Bettrand und zupfte eine Staubflocke von ihrem Strumpf. »Geheimnisse, Deleu. Junge Mädchen haben Geheimnisse und geheime Verstecke. Davon verstehen Männer nichts.«
Deleu öffnete die Kleiderschranktür. Der Duft von Veilchen wehte ihm entgegen. »Sexy, diese Kombination aus Stiefeln, Wollstrümpfen und kurzem Faltenrock … das find ich unglaublich sexy.« Deleu drehte sich nicht um. Er wusste auch so, dass ein verblüfftes Lächeln Nadias Lippen umspielte.
Ihre mürrische Antwort »Du kannst nicht alles haben« riss ihn aus seinen Tagträumen. Er strich mit den Fingern über eine Satinbluse mit tiefem Halsausschnitt und schwieg. Eine abgrundtiefe, alles verschlingende Woge der Angst erfasste ihn, als ihm plötzlich klar wurde, dass er sich irgendwann entscheiden musste, eine herzzerreißende Entscheidung treffen musste.
Wem wird das Baby ähnlich sehen? Und was ist, wenn es Frank ähnelt? Ist es dann endlich vorbei? Was soll ich, um Himmels willen, tun? Was nur? Charlotte.
*
Im
De Cirque
am Vismarkt ließ Deleu sich an seinem gewohnten Platz in den Rattanstuhl sinken.
»Was darf’s sein, die Damen?«, fragte Alain mit einem breiten Grinsen, das von Ohr zu Ohr ging.
Deleu schaute den Wirt nur stumm an.
»Was ist los? Letzte Nacht wieder ordentlich zum Zug gekommen?«
Mit zitternden Lippen ließ Mendonck sämtliche Luft aus den Lungen entweichen und starrte an die Wand, quer durch Deleu hindurch. »Mach mal zwei Kaffee, Alain«, sagte sie mit lieblicher Stimme. »Der Kollege Deleu fühlt sich nicht gut. Er muss erst noch wach werden.«
Alain schaute demonstrativ auf seine Armbanduhr. »Klar, ist ja auch gerade mal halb elf.«
Deleu hatte sich inzwischen in den Terminkalender mit dem Ledereinband vertieft. Telefonnummern und im Umschlag Visitenkarten. Langsam schaute er zu Mendonck hinüber. »Mädchengeheimnisse, was?«, meinte er spöttisch – und stolz, weil er den Kalender gefunden hatte, versteckt in einer Nische im oberen Teil des Kleiderschranks.
»Was willst du Bosmans erzählen?«, fragte sie anzüglich. »Wenn er davon erfährt, sind die Puppen am Tanzen. Hast du Mevrouw Vandergoten übrigens mitgeteilt, dass wir diesen Kalender mitgenommen haben?«
»Hab ich vergessen«, murmelte Deleu nonchalant, während er die Visitenkarten aus dem Umschlag herauszog und vor sich auf dem Tisch ausbreitete. Sorgfältig sah er sich jede Karte an und drehte sie der Reihe nach um, neugierig, ob vielleicht auf der Rückseite irgendetwas notiert stand – was aber nicht der Fall war.
Dann nahm er zwei Karten hoch und legte sie vor Nadia auf den Tisch. »Voilà.«
»Voilà
was?
«
»Hier müssen wir weitersuchen.«
»Wo?«
»Bei diesen beiden Adressen. Fitnessclub ›Body Health Center‹ in Mechelen und Hedwige, ›Tarot und Astrologie‹, in Duffel.«
»Warum?«, fragte Mendonck, die sich interessiert vorbeugte, bis sie mit der Nase fast Deleus spitzes Riechorgan berührte.
»Siehst du das denn nicht?«
Mendonck zuckte die
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