Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd
abtrocknete. Es ging doch nichts über ein herrlich heißes Bad.
Dann zog er frische Unterwäsche an und darüber Freizeitkleidung. Eigentlich hätte er gern sein neues, buntes Hemd übergestreift, aber dann wäre Betty erst recht misstrauisch geworden. Jeans und ein schlichter Pullover, das war besser. Einen kurzen Moment zögerte er. Vielleicht sollte er doch lieber das nasse Handtuch verschwinden lassen und die Wanne trockenwischen. Er schaute auf die Uhr.
Richtig … das Nähkränzchen. Die Nervensäge ist also noch mindestens eine Stunde fort.
Dennoch blieb er wachsam. Vorsichtig schaute er um die Ecke, spähte in die Küche und schlich ins Wohnzimmer. Es war totenstill im Haus.
Gut. Sie ist noch nicht zurück.
Jozef Van Cleynenbreughel lief hastig zur Garage, sprang auf sein Mountainbike und radelte los.
Als er sich unterwegs ausmalte, wie sie einander Auge in Auge gegenüberstehen würden, spürte er das Blut in seinen Fingerspitzen pulsieren. Ein Adrenalinstoß. Dieses Mal würde er sie treffen. Kein Entkommen möglich.
Van Cleynenbreughels Hände zitterten, und als er hinter einem Vorhang die Konturen eines schlanken Frauenkörpers entdeckte, krümmte sich sein muskulöser Körper zusammen.
Er holte den zerknitterten Führerschein aus der Hosentasche; die anderen Papiere hatte er weggeworfen. Ein weiteres Mal überprüfte er die mit Kugelschreiber umkringelte Adresse. Die Wohnung befand sich in der obersten Etage.
Er dachte daran, wie er stundenlang Ausschau gehalten hatte. Gegenüber von Behermans Praxis. Aber von Muriels Halbschwester war nicht die Spur zu sehen gewesen. Beherman musste ihn damals entdeckt haben, denn plötzlich hatte er vor ihm gestanden, wie aus dem Nichts aufgetaucht. Und er hatte lediglich gelächelt.
Jozef Van Cleynenbreughel lief es beim Gedanken an diese Begegnung kalt über den Rücken. Rasch sah er sich um – dem Doktor würde das hier nicht gefallen. Ganz und gar nicht.
Um sich nicht ein zweites Mal an den scharfen Dornen des Brombeerstrauchs zu verletzen, neigte er den Kopf zur Seite. Dann überquerte er mit energischen Schritten die Straße.
Vor der Haustür sah er sich zwei Mal vorsichtig um und versuchte, seine Atmung in den Griff zu bekommen.
Schließlich schwebte sein Zeigefinger über der Türklingel mit dem Namensschild »Hilde Plaetinck«.
Plötzlich tauchte der Finger nach unten wie ein Jagdflugzeug im Sturzflug. Er drückte auf die darunter liegende Klingel.
»Wer ist da?«, krächzte eine rauhe Stimme durch die Türsprechanlage.
»De Mesmaecker«, flüsterte Van Cleynenbreughel heiser. »’tschuldigung, aber ich hab meinen Schlüssel vergessen. Können Sie kurz die Haustür aufmachen?«
»… schon das zweite Mal in dieser Woche«, glaubte er dem Gemurmel zu entnehmen, als der Türöffner summte und er die Haustür aufdrückte. Rasch schlüpfte er in den Hausflur, warf einen Blick über die Schulter und schob die Tür ins Schloss.
Niemand zu sehen.
Nach zwei zögernden Schritten in Richtung Aufzug besann er sich eines Besseren und stieg langsam die Wendeltreppe hinauf. Unterwegs überlegte er sich die unmöglichsten Szenarien.
Ich klingele und frage, ob ich mal telefonieren darf. Ich habe eine Reifenpanne. Nein – warum sollte ich dann bis in den siebten Stock steigen? Es ist sonst niemand im Haus. Kann nicht sein. Dann eben auf gut Glück.
Van Cleynenbreughel stieg die Treppe hinauf. Im siebten Stock angekommen, holte er keuchend Luft und lehnte sich gegen die Wand – somit war er vor den neugierigen Blicken anderer Bewohner geschützt, die zweifellos den Aufzug nehmen würden, falls sie das Haus verlassen wollten.
Er spitzte die Ohren und spähte um die Ecke.
Siebenhundertzwölf. Da. Da wohnt sie.
Seine hungrigen Augen starrten auf die Eingangstür der Penthouse-Wohnung. Er glaubte, ein Geräusch zu hören, und strich sich mit zittriger Hand die Haare zurück.
Hinter derselben Tür ging Hilde Plaetinck mit einer Tasse koffeinfreiem Kaffee zu einem weißlackierten Nussbaumschreibtisch, auf dem ein Stapel Papiere lag. Sie betrachtete das gerahmte Foto, das sie selbst mit ihrem Patenkind Elodie auf dem Schoß zeigte, und ein mattes Lächeln umspielte ihre Lippen.
Van Cleynenbreughel schloss die Augen, strich sich erneut die Haare glatt, diesmal jedoch mit beiden Händen, roch an seiner Achsel und sog die Lungen voll Luft, was ihm ein leichtes Schwindelgefühl bereitete.
Plötzlich wich seine Erregung nackter Angst –
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