Bosmans/Deleu 05 -Schnitzeljagd
Achseln.
»Diese Visitenkarten sind nagelneu, Nadia. Neu, aktuell, jüngeren Datums.«
»Eine Wahrsagerin«, sagte Mendonck, stützte die Ellbogen auf den Tisch und ließ ihr Kinn nachdenklich auf die Hände sinken.
Deleu schloss die Augen, lehnte sich zurück und faltete die Hände im Schoß.
»Warum will ein junges Mädchen etwas über die Zukunft erfahren? Sie hat die Härten des Lebens doch noch gar nicht zu spüren bekommen. Oder: Wen hat sie im Fitnessclub kennengelernt?«
Deleu schaute auf. »Was denkst du?«
Mendonck nickte ihm entschlossen zu und trank ihren Kaffee aus. »Komm, wir müssen los. Nach Duffel. Was hat ein junges Mädchen, das in Evere wohnt, in Duffel zu suchen? Hatte sie ein Motorrad oder so was?« Als sie sich umdrehte, sah sie, dass Deleu sie bewundernd anschaute.
»Duffel«, sagte er und nickte.
Während er in Gedanken versunken den Vismarkt überquerte, fischte er eine Visitenkarte aus der Brusttasche seines Hemds, holte sein Mobiltelefon aus der Manteltasche und gab eine Nummer ein.
»Annick de Kimpe.«
»Entschuldigen Sie die Störung, Mevrouw de Kimpe, hier ist noch mal Kommissar Wellens von der Föderalen Polizei … Ja, genau. Vom Bezirk Brüssel, Abteilung Kapitalverbrechen. Ja, ganz richtig, wir sind heute Morgen bei Ihnen gewesen … Ja … genau … Vielen Dank … Darf ich Ihnen noch eine Frage stellen?« Nervös klopfte Deleu mit dem Fuß auf den Boden. »War Ihre Tochter vielleicht abergläubisch?«
Einen Moment herrschte Stille.
»Okay. Danke … Ja, wir halten Sie auf dem Laufenden … Ja, Wellens. 0475 67 76 67 .«
»Wellens?«, fragte Nadia Mendonck. Sie verzog das Gesicht und schnaubte so laut, dass ihre Oberlippe an ihre Nase stieß. »Brüssel, Abteilung Kapitalverbrechen?«
Deleu schaute sie mit jungenhafter Unschuldsmiene an. »Tja, wenn man schon schummelt, dann auch richtig.«
Mendonck seufzte und strich sich mit gemischten Gefühlen über den Bauch, wo noch nichts zu spüren war. »Und ich? Wer bin ich dann?«, fragte sie neckisch.
Deleu, du Narr. Wenn Bosmans das jemals erfährt …
»Niemand. Einfach nur Nadia Mendonck, meine Assistentin«, erwiderte er trocken.
Abrupt schoben sich die streichelnden Finger in die Taschen des Mantels, wo sie sich zu kleinen, harten Fäusten ballten.
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6
J ozef Van Cleynenbreughels Brust hob und senkte sich stoßweise, als er sich an das letzte Gespräch mit Dr.Beherman, seinem Psychotherapeuten, erinnerte. Beherman, dieser sanfte, nette Mann mit dem verunstalteten Gesicht, war ein Bekannter von John Mispelters, Van Cleynenbreughels Busenfreund. Er hatte ihn das erste Mal in einem Café gesehen: Der Doktor und John waren in eine heftige Diskussion verstrickt gewesen, und plötzlich war John aufgesprungen und nach draußen gestürmt, während der Doktor ruhig sitzen blieb. Sie kamen miteinander ins Gespräch, und nachdem das Eis gebrochen war, hatte Dr.Beherman ihm verständnisvoll zugehört. Das Gespräch erleichterte Jozef sehr, und am Ende des Abends hatte der Doktor ihm seine Visitenkarte gegeben.
John behauptet, dass er nichts mit ihm zu tun hat. Wahrscheinlich ist er bei dem Doktor ebenfalls in psychologischer Behandlung gewesen, aber viel zu stolz, das zuzugeben.
John Mispelters, Hedwiges Mann, war sein bester Freund. Eigentlich auch sein einziger Freund. Zwar ein Rohling und Saufbold, aber ein echter Freund. Ein Mann, dem er bedingungslos vertrauen konnte. Auch in schlechten Zeiten: In den Tagen nach Muriels Tod war John immer für ihn da gewesen. Wie oft hatte er sich bei ihm ausgeheult.
Inzwischen hatten sie sich auseinandergelebt, und er hatte seinen Freund seit Wochen nicht gesehen. Ständig auf Achse. Ständig schwer beschäftigt. Zweimal waren sie noch was trinken gewesen, im
Au point final
, Johns Brüsseler Stammkneipe.
Van Cleynenbreughel erinnerte sich an ihr letztes Treffen. John hatte sehr bedrückt gewirkt – nervös, schweigsam und sehr reizbar. Und er hatte ihn rundweg ausgelacht, als er ihm das Foto von Muriels Halbschwester gezeigt hatte.
Daraufhin war Van Cleynenbreughel sehr wütend geworden. Furchtbar wütend. Beinahe wäre es draußen auf dem Bürgersteig zu einer Schlägerei gekommen.
John weiß nicht, was wahre Liebe ist. Aber ich muss es wissen, ich muss sie sehen. Sie gehört mir.
»Ach, John. Fuck you.«
Muriel. Meine liebe kleine Muriel.
Er zog sich am Badewannenrand hoch und trat auf die Fußmatte vor der Wanne, wo er sich sorgfältig
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