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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Musikanten auf der Tenne zu und beobachtete die steifbeinig über den Tanzboden hopsende Ausgelassenheit im Hochzeitsbehang, grundlos plappernd, prahlerisch, weltverändernd, sich selbst hervorhebend. Am großen Tisch trieben die Spätvermählten das Schweigen, ihr Erkennungsmerkmal und Gütezeichen, zur Vollkommenheit. Auch das Schweigen wurde durch die Zeremonie veredelt, auf eine höhere Stufe gehoben, und von nun an konnte ihm niemand aus der Verwandtschaft mehr seine Wohltat absprechen.
    Vom Tag bis in die Nacht und von der Nacht bis in den Morgen war ein lärmendes Plätschern zu hören, es stieg an, ebbte ab und kollerte haufenweise aus dem Gebäude ins Tal hinunter. Gleich zwei Schweine waren geschlachtet worden. Die Tische
füllten und leerten sich, in regelmäßiger Folge wurde gegessen und getrunken, bei der Ausgabeluke staute und klemmte es sich in beiden Richtungen, es wurde gefressen, geschlungen und durch die Gurgel gegossen, noch ein Segen, wenn dieser oder jener es rechtzeitig schaffte, aufzukommen und sich hinter dem Gebüsch auszukotzen, oder wenn sich zwei miteinander maßen, wer das schönere Loch in das Spinnennetz wässern könnte oder wer die stimmigere Geometrie auf die Lärchenplanken; unter dem Fenster versengte der Urindampf die Brennnesseln und färbte den Verputz gelb. Solche Feiertage korrigieren das alltägliche Unrecht wieder ein bißchen und machen wett, was den Leuten unter dem Jahr entgeht, wenn Mangel und Armut herrschen, wenn der Hunger an denen zehrt, die geschwächt sind vom Fasten, ausgemergelt vom Schinden und leergeschwemmt von den zerkochten und aufgewärmten Suppen, kommt dann erst die Fastenzeit, kann schon ein Lachen unerhört sündig machen. Das ganze Jahr über haben die Dienstherren geknausert und gegeizt, die Bäuerinnen versperrt und versteckt, und wenn die Köchin im Getreidespeicher Mehl faßte, kehrte sie alles, was am Boden lag, auf die Schaufel, mitsamt dem Mäusedreck. Je magerer die Ernte, desto größer die Hungersnot, aber nur für die Dienstboten. Die Dienstboten darbten, während sich die Herren nachts, wenn der Herrgott sie nicht sah, in den Speisekammern über den Fleischhimmel hermachten. Überdrüssig des Fastens, lassen die Dienstboten an so einem Hochzeitstag dem Gelächter alle Freiheit, setzen ihm noch einen Stachel drauf und würzen es mit Hohn, an so einem Tag greifen sie zu, löffeln und fassen nach, stopfen sich voll um jeden Preis, ohne Unterlaß rauscht die Nahrung durch sie hindurch. Hochzeiten kommen ihnen gelegen, um sich schadlos zu
halten für alle Plagen, für den groben Weizenbrei und die helle Einbrenn, für das abgekochte Wasser, die leeren Suppen und die aufgewärmten Reste. An diesem Tag revanchieren sie sich für Mäusedreck und Katzenzwistigkeiten in den Küchentöpfen, wetteifernd laufen sie mit den Körben in die Vorratskammern, mit den Zainen in den Keller, ziehen mit den Saughebern den Most aus den Fässern, daß die Holzschwellen ächzend nachgeben. Triumphierend scheppern aus der Küche die Topfdeckel, und manchmal übertönt das Geklirr der Trinkgefäße die Trunkenheit der Hochzeitsgäste. Vergessen sind der Fingerwurm, die Frostbeulen und alle anderen Winterschäden, vergessen Abhängigkeit, Gehorsam und kirchliche Obrigkeit, vergessen die schwachsinnige Gläubigkeit der Paare, die nach päpstlichen Anleitungen und Drohungen haufenweise Kinder in die Welt gesetzt haben, ohne sie menschenwürdig durchs Leben bringen zu können; vergessen, daß schon beim dritten Kind der Platz im Haus zu knapp wurde, daß man für die Kleinen eine Bretterhütte außen dazunageln mußte; und während der Papst morgens in seinem Palast erwachte, sich aus dem Brokat wand und die Prälaten im Hermelin ihm die Samtpantoffeln auf die Füße schoben, mußten diese päpstlich in die Welt gesetzten Kinder zuerst einmal barfuß die am Hüttenboden festgefrorenen Holzzockel losklopfen. Kein Wunder, haben doch die päpstlichen Lehren niemals von den Eltern die Wertschätzung der Kinder verlangt: Ehre deine Kinder, auf daß sie lange leben und es ihnen wohl ergehe auf Erden. Die Anweisungen fordern nur die Wertschätzung in umgekehrter Richtung, den Kindern kommt die Folgsamkeit in allem, Gehorsam, Demut und Erniedrigung zu, die Wertschätzung allein den Eltern. Nur gut, daß es zwischendurch auch einige Feiertage und Feste gibt. Solche Tage
sind Tage des Vergessens und Verdrängens, mehr noch, solche Tage sind schon Tage zuvor Tage des Nehmens, Tage

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