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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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der Vorwegnahme ungeduldig erwarteter nächtlicher Freuden, einer besonderen sexuellen Stimmung, Tage der nahenden Sünde. Allein schon die angekündigte, kundgemachte Hochzeit begeistert und belebt die Ehepaare im Dorf; bestens gelaunt fliegen sie auf den Honig, und mit dem Honig nehmen sie, was sie besitzen: tief langen sie hinein in den Honigkuchen, der Mann verweigert sich der Frau nicht, und die Frau verweigert sich dem Mann nicht, denn gesegnet ist sie unter den Frauen in diesen Tagen und gesegnet ist die Süße ihres Leibes. Die in solcher Zeit zum Hochzeitsfest geladen sind, warten noch im Bett auf das Startsignal, die Glocke, und wenn es zum Morgen und zur Messe läutet, lieben sie sich, rüsten sich zu und rösten sich, beschlafen sich ausschweifend und vulgär, verrichten die ehelichen Nachtoffizien wie schon lange nicht mehr. Auch die ohne Hochzeitseinladung stehen ihnen nicht nach, auch der letzte Einfaltspinsel schnappt sich eine für die Nacht, noch der Ärmsten gelingt es, sich in fröhlicher Erwartung die Nächte zu versüßen. Und selbst für die Bettler ist der Tisch gedeckt. Auch auf die Hochzeit des Vaters verschlug es so einen glücklichen Menschen, der über die Dörfer zog und immer seinen abgebissenen Löffel bei sich hatte. Die zerknitterten Ledergamaschen waren ihm bis zu den Knöcheln hinuntergerutscht, sehr rasch kam er mit Boštjan ins Gespräch. Geboren in dem Jahr, als die gesamte Ernte vom Hagel vernichtet wurde, gewohnt, den Teller bis zur letzten Erbse leer zu essen, die faulen Zähne und die wassersüchtigen Knie zeigend, fuhr er in die dicke Brühe und löffelte noch, als nur mehr eine feuchte Spur auf dem Teller klebte. Sein Löffel schabte auch diese zusammen und trug unsichtbare Erb
sen zum Mund, und als von der Spur nur noch ein Geruch über dem Teller schwebte, rieb und kratzte der Löffel noch immer darauf herum, und was er zwischen die Zähne schob, war weniger als nichts. Der Bettler, glücklich geboren in einem Unglücksjahr, rund ums Jahr lebend nach derselben Weise, meistens Haferschleim, selten Honigseim, schlenkert vor Behagen mit den Beinen. Heute gibt es Labsal und Nahrung in Fülle, der Bettler aber putzt den Teller leer, als ginge es um jede Erbse. Auch Boštjan langt tüchtig zu und bleibt um nichts hinter den anderen zurück, vorbei sind auch für ihn die Zeiten, als er Steine kaute und Erde fraß.
    Dann überkommt ihn die Sehnsucht, Lina zu sehen, ihr Gesicht, ihre zerzausten Haare. Es gelüstet ihn nach ihrem Lachen, das sich um Berge von dem lärmenden, abgestandenen, schlaffen Gelächter an der Hochzeitstafel unterscheidet. Linas Lachen ist schön und wohlklingend, aufhüpfend am Beginn und weich am Ende, eine Melodie, die jeden guten Organisten verlocken müßte, sie zu Ostern statt des Hallelujas zu spielen. Linas Lachen ist ein sprechendes Lachen, ein aussagekräftiges Lachen, und was es Boštjan sagt, begleitet ihn wie ein guter Geist. Er hütete diesen kleinen Schatz, wohlverwahrt noch aus der Zeit, als sie gemeinsam bergauf gingen, und kein späteres Ereignis konnte ihn aus der Erinnerung löschen. Kein Zweifel, Lina betört ihn. Dem Vater hat er genug Zeit gewidmet, der Stiefmutter Gehorsam entgegengebracht, auf der Hochzeit, die kein Ende nehmen will. Kein Zweifel, hier hat er nichts mehr zu suchen, sie steht ihm nun bevor. Er möchte auf der Stelle sehen, wie sie sich im Bett umdreht und langsam ausstreckt, wie der Schlaf sie umgarnt und seine Netze über sie spannt, er wünschte, von ihrer Stirn die Traumschrift zu erra
ten, sie aus den Bewegungen unter ihren Lidern zu buchstabieren, er möchte sehen, wie sie sich am Morgen die weichen Schlieren aus den Augen reibt. Er würde gern, über das Bett gebeugt, ihr Aufwachen hören, ihre schlaftrunkene Stimme, dabeisein, wenn sie sich in den neuen Tag hineinräkelt. Lebhafte Vorstellungen nehmen ihn gefangen, die sich nicht mehr bändigen lassen und ihm für sich allein schon kostbar sind.
    Gegen Mitternacht, als der Hochzeitstrubel am stärksten ist und die Tischgesellschaft in beschwipsten Höhen wandelt, macht sich Boštjan auf, schnürt die Bundschuhe und schlägt den Kragen hoch. Niemandem fällt auf, daß er den Tummelplatz verläßt. Am Rand hält er, die Ebene zu Füßen, noch kurz inne und braust dann, ohne sich umzublicken, über die Abkürzung zur Straße hinunter. Dort nimmt er denselben Weg, den die Kaleschen am Vormittag im Trab durchfahren hatten und auf dem er kurz neben dem Kutscher

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