Bostjans Flug - Roman
nicht erblicken konnte. Alle Mühen der Woche und den Ärger hatte er umgewandelt in Erwartungslust, die sich ihm nun jeden Moment verkörpern und sein Sehnen stillen muß. Er steht im Gedränge auf der Stiege zur Vorhalle der Kirche, etwas herausgehoben, und läßt seine Blicke kreisen. Das Kyrie und die Buße sind vorüber, schon setzt die kleine Aufbäumung ein, den Leuten weht der Geist ins Gesicht und durchwirkt sie, damit sie sich für die wohlklingenden Worte öffnen, Boštjan aber entdeckt Lina noch immer nicht. Vom Aussichtspunkt wandert sein Blick schrittweise über die Köpfe auf der Suche nach ihrem Gesicht. Bei der großen Aufbäumung, wenn auf dem Plateau Bewegung entsteht und alles zu nichts wird, sich alles kreuzt und alles versinkt, zu Staub vergeht, kniend zerfällt und sich sogar die Schatten ducken und auf dem Boden ausbreiten; wenn die Baumspreizen im Obstgarten erzittern und die Böller donnernd bersten und die Luft zerfasern, daß es von den Felsen schallt; bei der Aufblähung, wenn sich alles den heftigen, spannungstreibenden Atemstößen des Pfarrers hingibt, tritt gleichzeitig mit dem Dröhnen der Glocken eine Stille ein, die alles freilegt, in diesen Momenten weiß Boštjan, daß Lina nicht auf der Hochzeit ist. Er braucht nicht mehr umherzugaffen, er hat das letzte Gesicht in der Menge gemustert. Schlagartig trifft es ihn, und er fühlt sich wie eine verrunzelte, erbarmungsloser Dürre ausgesetzte Frucht. Eine Woche lang hatte er sie auszugraben und freizulegen versucht, auf den Sonntag verschoben, und jetzt, wo alles kniet und er allein auf der Stufe zur Vorhalle steht, in diesen kurzen, kaum
wahrnehmbaren Augenblicken während des Anhörens der Stille beim Ausklang der großen Aufbäumung erkennt er, daß Lina nicht darunter ist. Er bekommt einen Haß auf sich selbst, auf die Zeremonie und Lina und ruft die Felsen aus dem Böllergrollen an, das ganze Plateau unter sich zu begraben und alles, was darauf versammelt ist.
Die Trauung fand im Heimatdorf des Vaters statt, in St. Marjeta, nicht direkt vor den Augen der auf und davon gegangenen Heiligen, die nicht herausgefordert werden sollte, sondern hinter ihrem Rücken, die Hochzeit hingegen wurde im geräumigen Zuhause der neuen Ehefrau ausgerichtet, halb im Freien, halb in der Scheune. Eine lange Reihe jauchzender Hochzeitsgäste zog in Kaleschen durch das Tal und den Markt, wo die Leute stehenblieben und winkten. Auf der Brücke hatten die Marktbewohner einen Schranken errichtet, und der Vater zahlte nach einem mehr als halbstündigen Aufenthalt und nach umständlichen, blödsinnigen Verhandlungen die Maut. Endlich trieb der erste Kutscher sein Pferd mit der Peitsche an, und der Hochzeitszug rollte weiter, noch ein gutes Stück Weges vor sich. Mit dem Wetter hatte man es gut getroffen, im rechten Moment zog der Regen noch einmal vorüber, von der richtigen Seite heiterte der Wind den Himmel auf. Aushilfe kam von Bekannten, mit denen sie gegenseitig tagwerkten, sich gut verstanden und das eine oder andere hin und her liehen. Boštjan verfolgte auch das Hochzeitstreiben nur vom Rand aus, es interessierte ihn nicht sehr, die Hochzeit ging den Bach hinunter, der Sonntag in die Binsen, im übrigen kümmerte sich in der fremden Umgebung und bei dem Lärm und Rummel auch niemand besonders um ihn. Zwar war er noch nie so freundlich aufgenommen worden, aber das konnte die Niederlage auch nicht wett
machen, den Unwillen nicht vertreiben, den Schmerz nicht lindern, den er bei der Kirche erlitten hatte. Bedrückt und verzweifelt stand er da und redete sich ein, es würde ihn wenigstens jenes Glück erreichen, das der Pfarrer bei seinen Besuchen immer vorhergesagt und beschworen hatte, und sich endlich herausstellen, ob er denn wirklich einer Baumgabel oder einer Furche entsprungen war, wo doch die Zeremonien nun dem Mangel abgeholfen hatten und die Ehe des Vaters erhöht und gesegnet worden war und alles seine Ordnung bekam. Boštjans Liebe, früher wie Stahl und ausgehärtet, jetzt wie Blech und abgewertet, gestern noch in Höhenflügen, heute auf dem Boden liegengeblieben. Rastlos streifte er um die Tische, die in der Scheune und im Hof aufgestellt waren, wo die Männer mit ihren Gaben protzten und die Frauen vor Lachen krächzten, er war im Weg und eine Heimsuchung, trieb sich bei den polierten Kaleschen herum, von denen einige gefährlich schräg standen, steckte bei den Pferden, die aus den umgehängten Futtersäcken fraßen. Er hörte den
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