Bostjans Flug - Roman
geärgert hätten, wieso die Männer es nicht erwarten könnten, kaum ist die eine in der Grube, schon kommt die andere in die Stube. In der Woche vor dem Ereignis, als der Vater die nötigen Wege abends selbst erledigt, kümmert es Boštjan nicht, daß ihm eine neue Mutter beschieden ist und er im Haus unter ein doppeltes Kommando kommt, seine Sorgen sind anderer Art und liegen woanders. Boštjan freut sich auf die Hochzeit, weil die Möglichkeit besteht, Lina wiederzusehen, vielleicht nimmt sie sogar an der Hochzeitsfeier teil. Die neue Frau macht den Vater ernst und still, ihn aber beunruhigt Lina und macht ihn verrückt. Manchmal legt er sich ins Gras, schließt die Augen und schaut in den Himmel. In besonders günstigen Stunden kommt es vor, daß sich der Geist vom Körper trennt, aus dem Fleisch herauswindet und zu ihr ausläuft, sich in ihr Fleisch hineinmengt und mit ihrem Wesen verbindet. Auch spürt er eine Bewegung im Körper und eine Verzückung in der wohligen Regung, wiegt sich lustvoll auf den Graswellen, überläßt sich der Trägheit des Himmels und der sich darüber hinstreckenden Wolken. Da ziehen Fluten von weit her durch die Luft, Boštjan nimmt sie auf, warm und wohltuend fließt es in den Gliedern, er versucht, diesen Zustand zu verlängern, zu festigen, anzuhalten, aber schließlich muß er die Augen öffnen. Der Geist kehrt in den Körper zurück, so wie er hier auf diesem wunderbaren Überdauerungsplatz liegt, den er durch die geschlossenen Lider hindurch wahrnimmt, es ist, als wäre sein Körper bei ihr gewesen und
ihr Körper bei ihm. Die Liebe möchte Geist und Körper, stark und wirklich ist sie, daß sie eine Steinlawine auslösen und, wenn sie wollte, das Fallen eines Baumes aufhalten könnte. Der Pfarrer plagt sich vergeblich mit den erlogenen Wahrheiten, und nicht weniger verstellen sich die Menschen, wenn sie diese wiederkäuen. Sie gehen bei ihm in die Lehre, der große Mühen auf sich nimmt, bis durch die ständige Wiederholung ein und desselben die Wahrheit ausgebrütet wird und bis die wiederholte Behauptung gefestigt genug ist, um standzuhalten. Nur die beharrlich und lange genug wiederholten Wahrheiten stellen Wahrheit sicher. Ein Kind ohne Mutter, das ist wie unter einem Strauch zur Welt kommen, eine Strafe Gottes. Seine Mutter, wenn sie noch da wäre, hätte nicht so getan, als sei er einer Baumgabel entsprungen oder beim Ackern aus einer Furche geschlüpft und daß dieser Makel allein durch eine kirchliche Zeremonie gutzumachen sei, wie sie etwa dem Vater am morgigen Tag bevorstand. Sie hätte ihn bewahrt vor dieser verlogenen Gelehrsamkeit und Hohlheit, doch die Mutter ist weggebracht worden, und nun ersteht ihm aus dem dampfenden Badebottich des Vaters und aus den Schaumbläschen der Aschenseife die Stiefmutter.
Am Sonntag ist Boštjan als erster im Haus auf den Beinen, noch ehe die Morgenglocke läutet. Im Sonntagsgewand schreitet er auf der Straße dahin. An der Stelle, wo sie durch einen zerwühlten, unwegsamen Quellgrund ansteigt, biegt er in einer scharfen Kehre bergwärts ab. Vom Tal führt auch eine Abkürzung auf das Plateau hinauf, aber dieser Weg ist steil, rutschig und verwildert, und Boštjan ist zwar mit den alten, doch aufpolierten Latschen und in abgetragener, aber immer noch zu guter Kleidung unterwegs, als daß er es riskieren wollte, sie
zu beschmutzen. Je näher er der Hochebene kommt, desto langsamer wird er und umso beunruhigender werden die Stimmen, die ihm entgegenschallen. Oben stehen die Kirche und das Pfarrhaus mit dem Stall und dem Stadel auf einem Fleck beisammen, am Rande der Wiese gruppieren sich noch ein Werkzeugschuppen, eine Bienenhütte und ein Verschlag für Zaunstangen, Latten und Pfähle. Auf den umliegenden Wiesen und Feldern ruht die Arbeit, verklungen sind die Geräusche der Krampen und Hauen in den Steiläckern, der größte Teil des Viehs ist oben auf den Hochalmen. Am Verkaufsstand hat der Krämer aus dem Markt Süßwaren und nutzloses Zeug ausgebreitet, vor dem Getreidespeicher, der zur Ausschank umgebaut wurde, harren bereits unzählige Menschen. Die Frauen treten nervös auf der Stelle, einige haben da und dort noch eine Kleinigkeit zurechtzurücken, um das Erscheinungsbild des Festplatzes zu verschönern, und zupfen an Kapuzinerkresse, Fuchsien und Pelargonien herum; die Männer, bauchig vor Wichtigkeit und gravitätisch aufgeplustert, lungern in kleinen Zirkeln und bestätigen einander nickend ihre Klugheit. Abdecker aus
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