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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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sitzen und mit der Birkenrute das Pferd antreiben durfte. Zu dieser Stunde ist niemand mehr wach, die Straße ist in ihrer vollen Breite sein, ihre Tücken schärfen die Aufmerksamkeit, nur selten durchbricht ein Laut das Geräusch des Baches, der Himmel ist bald klar, bald bewölkt, Kehren tauchen unvermittelt vor ihm auf, verschieden tiefe Dunkelheiten begleiten ihn auf dem Weg. Boštjan macht keine Rast, leichtfüßig geht er auf dem Sandboden dahin, die Hände frei und der Kopf unbeschwert, alle Gedanken sind gebündelt und zum Ziel vorausgeeilt, er braucht nur noch seinen Körper nachzubringen. Auf dem ganzen Weg rastet er kein einziges Mal, Müdigkeit spürt er nur, wenn er sich den Brücken nähert und ihn das Wasser hinunterzieht, das aus seinem Tesen herausströmt. Die Straße verläuft den Bach entlang, nur hie und da entfernt sie sich ein wenig, und jedesmal, wenn
er den Bach überqueren muß, befällt seinen Körper eine lähmende Schwere, die umso größer wird, je näher er der Brücke kommt: Das Wasser aus seinem Tesen glitzert unter ihm, dasselbe Wasser, das, plätschernd den Trog überfließend, sein Haus gestreift hat und dessen unverwechselbar helles Rieseln sich von den durch andere Zuflüsse vermischten Wassermassen abhebt, sich bei Nacht noch wie der lichte Tag von ihnen unterscheidet. Es flüstert zu ihm von dem alten Haus, das ihn unablässig anzieht. Und als er dort ist, schweißnaß vom Aufstieg und erschöpft, hat er das Gefühl, als sei er zum letzten Mal auf dieser Wanderung, er wird es im Schutthaufen ruhen lassen, in dem es versunken ist, fast kann er es nicht ertragen zu sehen, wie dieser Flecken immer tiefer in die Erde sinkt und immer mehr Gebüsch daraus hervorwächst. Doch im Tal unten widerruft er die Entscheidung immer wieder. Unerklärlich ist es, und nicht einmal er weiß es, was er da sucht, wo nichts zu finden und schon alles abgesucht ist. Auf der Brücke selbst bewegt er seinen Körper kaum mehr von der Stelle, schiebt ihn vor sich her und schleppt ihn gleichzeitig hinter sich nach über die löchrigen Balken, mühsam knetet er ihn aus dem Bachbereich heraus, nach der Brücke, am Zusammenfluß, ist die Müdigkeit überwunden. Boštjan durchstreift den schlafenden, schweigenden Markt, geht mitten auf der leeren Straße, nicht an die Häuser gepreßt wie damals, als er sich auf der Suche nach der Mutter an Ugav wandte. Der Markt bei Nacht ist schöner als der Markt bei Tag. Auf der Höhe des Gendarmeriepostens verlangsamt er die Schritte, doch es ist kein Licht in den Fenstern. Als nächtlicher Herr der breiten Straße marschiert er diesmal durch den Markt und biegt in den Graben ab, fast rennend erreicht er die Abzweigung nach Tesen. Auf dem Otavar
steig ist es sogar bei Tag stockfinster, mit ausgestreckten Händen bewegt er sich langsam durch dieses dichte, von keinem Lichtstrahl durchdrungene Fichtendunkel. Auch bei Sonnenschein kommt die Helligkeit nur langsam und von der Seite bis in den Gang, und der Wanderer muß, bevor er in diesen Stollen einbiegt, sich selbst damit aufladen, sein Gewand noch vor dem Wald damit vollstopfen und sich so selber auf dem Weg leuchten. In dieser Nacht versucht Boštjan, mit den Füßen über den Boden streifend, herauszufinden, wo die Härte des Stegs in die Weichheit des Waldbodens wechselt. Kurz vor Tagesanbruch klopft er an ihr Fenster.

    D ann kämpft sich Boštjan abermals hinauf, am Steilhang gleitet er auf dem grasigen, mit Baumnadeln übersäten Boden, der ihm unter den Beinen wegrutscht, immer wieder aus, faßt Tritt und fängt sich, ehe er zu Sturz kommt, mit dem Knie ab. Vor einer schmalen, ebenen Fläche, einer kleinen Lichtung auf der Sonnseite des Tales, in der sich die Wärme des Tages sammelt, verschnauft er und bleibt stehen, lehnt sich da, wo der Steig in das kleine Plateau mündet, an einen Stamm. Nicht jeder hat seinen eigenen Steig, schon gar nicht in diesen Jahren, Boštjan hat sich ihn angeeignet, nicht den ganzen, nur den mit dem Blick erfaßbaren, auf natürliche Weise eingerahmten Teil, und wurde stolzer Eigentümer einer Liegenschaft, eines Waldsteigs, und als Draufgabe noch Eigentümer des Herbstes, denn das Plätzchen war das ganze Jahr über von Laub bedeckt. Auf diesem Steig hatte ihm einmal eine Schlange den Weg versperrt, die sich auf der Böschung sonnte, starr vor Schreck blieb er wie festgenagelt stehen. Durch sein Schreien zu Hilfe gerufen, kam die Großmutter herangekeucht und stampfte mit dem Fuß auf

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