Bote ins Jenseits
»Ja, Vater, ich verstehe das. Aber sag mir, wie hast du es gemacht?«
Gregor hatte das Gefühl, dass es darauf eigentlich nicht mehr ankam, aber er war nun mal ein Vergeltungsbote und speziell in dieser völlig neuen und unerwarteten Konstellation, interessierte es ihn umso mehr.
Die Reaktion des alten Mannes war offene Verwirrung. »Du willst wissen, wie ich es gemacht habe? Das, äh… ist eine schwierige Frage. Weißt du es denn nicht mehr? Ich kann es dir, glaube ich, nicht erklären. Wie macht man das Falsche aus den richtigen Gründen?«
Er sah zu Boden und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, es ist so eine Art Fluch?«, sagte er unsicher und grinste Gregor irre an. »Geh heim, mein Junge, dahin, wo du glücklich und sicher sein kannst. Dies ist kein schöner Ort für dich. Geh heim.«
Kamp konnte sich nicht erinnern, seinen Vater jemals so liebevoll sprechen gehört zu haben. Es war wirklich vollkommen verrückt!
Kamps Vater drehte sich um und setzte seinen Weg in Richtung Ausgang fort. Kamp und Gregor sahen ihm stumm hinterher.
»Ganz ehrlich, ich bin jetzt seit zweieinhalb Jahrhunderten Vergeltungsbote, aber ich schwöre dir, so etwas habe ich noch nicht erlebt! Was machen wir jetzt?«, fragte Gregor, nachdem Kamps Vater aus ihrem Blickfeld verschwunden war.
»Wie meinst du das?«, erwiderte Kamp erstaunlich ruhig.
Ihre Blicke trafen sich, und Gregor kannte die Antwort schon, bevor er überhaupt die Frage gestellt hatte.
»Lassen wir ihn laufen? Ich meine, bei aller Verwirrung und bei allem Mitleid für seine Situation, er hat dich auf dem Gewissen, mein Freund. Er hat einen Mord begangen.«
Kamp begegnete seinem Blick gelassen und sagte nichts.
»Vergiss nicht, da ist auch immer noch deine Schwester, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Klar verstehe ich dich! Aber sie ist nicht in Gefahr. Es geht ihm nur um mich. Es ging ihm immer nur um mich. Ich habe meine Mutter mal gefragt, wann er anfing, sich so dramatisch zu verändern, wo sie doch nie müde wurde zu betonen, dass er nicht immer so ein Tyrann war. Rate mal.«
»Nach deiner Geburt?«
»Bingo!«
Gregor nickte und steckte die Hände in die Taschen. »Wir sollten gehen, was meinst du? Oder willst du dir jetzt noch dein Grab anschauen?«
Kamp schüttelte den Kopf und lief zu dem Boten. »Nein, das ist nicht mehr nötig. Aber versteh mich nicht falsch, bevor wir gehen, wäre es vielleicht besser, wenn du nicht mehr wie ich aussiehst.«
Und auch damit hatte er absolut recht.
Bekehrung
Eine Zeit lang schwiegen die beiden auf dem Weg zurück in die Niederlassung. Ein höchst interessanter Auftrag war zu einem durchaus erfolgreichen Abschluss gekommen.
Gregor wünschte sich, dass Fleischer und seine Kollegen herausfinden würden, dass Bindernagel zumindest nicht für den Tod von seinem Klienten verantwortlich war – auch wenn er ihn gewollt hatte. Was das betraf, hoffte er, Fleischer richtig eingeschätzt zu haben. Gregor lenkte den Wagen traumwandlerisch sicher und völlig immun gegen die Kölner Kaltschnäuzigkeit durch den jetzt wieder dichteren Verkehr und fühlte so etwas wie aufkommende Trauer darüber, dass er mit Kamp schon sehr bald nichts mehr zu tun haben würde – zumindest vorerst. Er fühlte sich wohl in dessen Gesellschaft.
Vielleicht gelang es ihm noch, ihn zu einer Botenkarriere zu überreden. Wenn er es schaffte und Kamp irgendwann die Akademie hinter sich gebracht hätte, wäre ihm nichts lieber, als diesen speziellen Boten als neuen Adlatus an seiner Seite zu haben und zum Vergeltungsboten auszubilden – wenn der es denn wollte.
Aber Kamp war noch nicht fertig!
»Ich will mit meiner Schwester sprechen!«, platzte es aus ihm heraus, und Gregor hätte fast, mitten auf dem dicht befahrenen Kölner Ring, eine Vollbremsung hingelegt.
»Du willst was?«
»Ich will mit…«
»Ja, verdammt, schon gut. Ich habe es verstanden! Schmink es dir ab, okay? Unter keinen Umständen. Das ist so was von verboten, dass selbst ich mich nicht dazu hinreißen lassen würde, und das soll verdammt noch mal was heißen.«
Kamp starrte schweigend aus dem Fenster, während Gregor ihm immer wieder kurze Seitenblicke zuwarf.
»Jetzt spiel bloß nicht die beleidigte Leberwurst! Selbst wenn ich wollte, könnte ich dir da nicht helfen. Es liegt nicht in meiner Macht, dich mit ihr sprechen zu lassen.«
»Wenn du mich zum Hund machen kannst, kannst du mich doch mal kurz zu einem Menschen machen. Wäre ja nicht für
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