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Bote ins Jenseits

Bote ins Jenseits

Titel: Bote ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hauke Lindemann
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Boten.
    Ein dermaßen unreligiöser Mensch wie er sollte es zum Boten bringen? Mangel an Selbstbewusstsein hatte zwar nie zu seinen Schwächen gezählt, aber in dieser Rolle wähnte er sich als Fehlbesetzung.
    »Ich denk drüber nach. Wie geht es jetzt weiter?«
    »Wir müssen raus in den Nebel, der Ort, an dem du hier im Jenseits angekommen bist.«
    »Fahren wir dann auch wieder mit diesem Fahrstuhl?«
    »Exakt!«
    Kamp und Gregor gingen durch das Gebäude ins Freie. An der Anmeldung herrschte in etwa im gleichen Umfang Betrieb, wie zu der Zeit, als Kamp dort zum ersten Mal eingetroffen war. In vielen Gesichtern der durchweg jung erscheinenden Seelen, erkannte er die gleiche hilflose Verwirrung, wie er sie vor gerade mal einer Woche gespürt hatte. Kamp empfand Mitleid mit ihnen.
    Sie ließen das Gebäude hinter sich und näherten sich der dichten Nebelwand.
    »Was hat es eigentlich mit diesem Nebel auf sich? Soll er etwas verbergen?«
    »Eine interessante Frage. Nein, dazu dient er nicht. Er ist auch nicht gewollt. Er tritt an den Orten auf, wo Raum oder Zeit gekrümmt werden. Dir ist doch sicher schon aufgefallen, dass hier einige Dinge, wie zum Beispiel der Paternoster, den Gesetzen der Physik eine lange Nase machen?«
    »Ja, das ist mir aufgefallen«, sagte Kamp langsam und fragte sich, was er von dieser Frage halten sollte. Jeder Depp hätte das bemerkt!
    »Es sind Orte, an denen er den linearen Verlauf der Zeit aufhebt, beziehungsweise das Volumen eines Raumes komprimiert oder expandiert, je nach Bedarf. Der Nebel ist lediglich eine Begleiterscheinung davon. Es ist sehr kompliziert. Nur er und die Domestiken sind dazu in der Lage. Das ist auch einer der Gründe, warum sich viele für die Laufbahn des Boten entscheiden. Die Aussicht, eines Tages Domestik werden zu können und diese Macht von ihm übertragen zu bekommen, ist ein Anreiz, dem man nur schwer widerstehen kann. Wäre ich nicht als Kleinkind gestorben und so automatisch zum Boten ausgebildet worden, hätte ich mich sicher dafür entschieden. Das ist mein Traum, mein Ziel.«
    Gregor lächelte gedankenverloren.
    »Ein gewisses Maß an Geduld gehört natürlich auch dazu. Domestik zu werden ist nicht einfach. Man muss sich in mehrfacher Hinsicht bewährt haben und einen enormen Erfahrungsschatz vorweisen können. Der Bote, der am schnellsten zum Domestiken wurde, musste fast fünfhundert Jahre in den unteren Botenrängen verweilen, ehe er ihm sein uneingeschränktes Vertrauen aussprach. Gemessen an der Ewigkeit nicht viel, aber auch nicht mal eben auf einer Pobacke abzusitzen. Dabei war das noch vergleichsweise schnell. Normal sind eher siebenhundert Jahre.«
    »Wie lange bist du schon Bote?«
    »Seit ziemlich genau zweihundertachtzig Jahren. Die Ausbildung nicht mitgerechnet.«
    Kamp kam sich furchtbar klein vor. Er sprach mit einem Mann, der seit fast dreihundert Jahren Wunder vollbrachte und bereits über einen enormen Erfahrungsschatz verfügen musste – auch wenn Gregor rein optisch locker als sein jüngerer Bruder durchgegangen wäre. Aus seinem bisherigen Leben war er es nicht gewohnt, sich von der Persönlichkeit anderer eingeschüchtert zu fühlen.
    »Wie lange dauert die Ausbildung?«
    »Fünfzig Jahre. Sie findet allerdings in einer komprimierten Zeitzone, abseits der vier Ebenen statt, ähnlich der, die von der Erde ins Jenseits führt. Hat dir der Bote erzählt, dass während eurer einstündigen Überfahrt auf der Erde und im Jenseits zwei Tage vergangen sind?«
    Kamp nickte.
    »Gut. Viele vergessen das. Während also in dieser anderen Zeitzone fünfzig Jahre vergehen, sind es hier gerade mal ein paar Monate. Da wir aber äußerlich nicht mehr altern, fällt es nicht ins Gewicht.«
    »Da wir gerade davon reden, wieso sehen hier alle so jung aus? Ich hab Fiona vorhin gefragt, aber es war ihr nicht mal bewusst. Sie dachte, sie sähe aus wie Ende sechzig.«
    Gregor richtete einen ebenso erstaunten wie bewundernden Blick auf Kamp.
    »Das ist dir also aufgefallen? Du solltest wirklich in Betracht ziehen, Bote zu werden. Mit dieser schnellen Auffassungsgabe dürfte das für dich kein Problem darstellen. Ganz im Ernst!«
    Kamp wurde verlegen.
    »Um aber deine Frage zu beantworten: Hast du in deinem irdischen Leben schon mal ernsthaft den Gedanken gehabt, dass du alt wirst?«
    Kamp dachte kurz nach und schüttelte den Kopf.
    »Eigentlich nicht«, log er.
    »Dann warst du noch nicht so weit. Grundsätzlich tun das alle Menschen irgendwann. Dieser

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