Bote ins Jenseits
direkt an seine nächste Grenze. Er wusste nicht, wie man das mit vier Beinen und ohne Arme anstellte. Jeder Versuch endete damit, dass er zurückfiel. Er kam sich vor wie ein auf den Rücken gedrehter Käfer. Hilfesuchend sah er zu Gregor hinüber, dessen Mimik Bände sprach. Ganz offensichtlich gelang es ihm nur unter größten Anstrengungen, sich nicht kaputt zu lachen. Kamp resignierte und blieb enttäuscht auf der Seite liegen.
»Wenn das Verlangen zu lachen weg ist, wäre es schön, wenn du mir aufhelfen würdest«, sagte er gereizt.
Der Bote rieb sich mit beiden Händen kräftig durchs Gesicht.
»Entschuldige bitte, ich mache mich nicht über dich lustig. Es sah nur wirklich komisch aus. Wie du immer wieder kurz davor warst, auf die Beine zu kommen, um dann doch wieder…«
»Ja, danke, reicht schon! Verdammt noch mal, das ist heute mein erster Tag als Hund. Ich hab noch nie vier Beine gehabt. Und ich bin an Arme gewöhnt.«
»Natürlich. Das weiß ich doch. Sei mir nicht böse. Auch dann nicht, wenn ich dir jetzt sage, dass ich dir nicht helfen werde.«
Gregor bemerkte Kamps entsetzten Blick und schob eilig »Beim Aufstehen!« hinterher.
»Warum nicht? Soll ich hier etwa liegen bleiben?«
»Nein, natürlich nicht. Aber du wirst die Welt der Lebenden gleich als Hund betreten. Man erwartet von Hunden, dass sie laufen können und ohne fremde Hilfe wieder auf die Beine kommen, wenn sie mal hingefallen sind. Ich habe extra für eine langsame Überfahrt gesorgt, auch wenn wir dadurch einen ganzen Tag verlieren. Es dauert noch etwa eine halbe Stunde, bis wir ankommen. Nutze die Zeit, um deine Motorik zu verbessern. Lauf im Kreis, mach Sitz und Platz, lerne, wie du wieder auf die Beine kommst… und sieh mich vor allem nicht so an. Immerhin hast du es kategorisch abgelehnt, als Diktiergerät zu gehen.«
Kamp war wütend und fühlte sich herausgefordert. Der Bote hatte natürlich recht, aber das machte es nicht besser. Aufgeben hatte jedoch noch nie zu seinen Optionen gehört, und beflügelt von der Wut auf Gregor und sich selbst gab er alles.
Er kam auf die Beine und fing an, sich mit seinem neu gestalteten Bewegungsapparat anzufreunden. Er drehte eine Runde nach der anderen durch den kleinen Raum und schmiss sich mehrfach hin, um das anschließende Aufstehen zu üben. Er versuchte, an Gregor hochzuspringen, und gab ihm, als krönenden Abschluss seines Trainings, sogar Pfötchen.
»Das hast du wirklich fein gemacht!«, sagte Gregor anerkennend.
Kamp merkte, wie er – ohne es zu wollen, wie er sich später immer wieder schwor – mit seinem Schwanz wedelte, und spürte den unwiderstehlichen Drang, Gregor das Gesicht abzulecken. Eine fremde Macht zwang ihn, sich auf den Rücken zu rollen, um sich den Bauch kraulen zu lassen. Gregor kam dieser nonverbalen Aufforderung nach, und Kamp wäre am liebsten im Erdboden versunken.
»Was zum Henker geschieht hier gerade?«, sagte er peinlich berührt.
»Na ja, du bist jetzt ein Hund. Mach dir keine Sorgen, es ist völlig normal, dass du einige typische Verhaltensweisen annimmst. Wenn du wieder in deiner normalen Gestalt bist, verschwinden sie auch wieder.«
»Aber… du kraulst meinen Bauch. Ich habe mir noch nie von einem Mann den Bauch kraulen lassen, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Soll ich aufhören?«
»NEIN!… Ähm, nein. Mach bitte weiter. Äh… Gregor?«
»Mhm?«
»Das bleibt doch unter uns?«
»Kannst dich auf mich verlassen.«
In der Niederlassung
Die Tür öffnete sich. Beim Verlassen des Raumes sah Kamp, dass sie tatsächlich aus einem Fahrstuhl heraustraten. Er hatte sich im Vorfeld zwar keine Gedanken darüber gemacht, aber dennoch nicht damit gerechnet, innerhalb eines Gebäudes auf der Erde anzukommen.
»Wo sind wir hier?«
»Das ist eine unserer Niederlassungen… Schau mich nicht so an, die gibt es überall, getarnt als irgendwelche kleinen Krauterfirmen. Eine Handvoll Boten verrichtet hier ihren Dienst. Übrigens ein ziemlich begehrter Job. Wir bekommen hier alles, was wir für unseren Aufenthalt auf Erden brauchen. Geld, Fahrzeug, Unterkunft, Klamotten – solche Sachen eben. Wir müssen da lang.«
Gregor deutete nach links. Ein kleiner Flur endete an einer massiven, sehr alt aussehenden Holztür. Die beiden betraten das dahinter liegende Büro.
»Ich grüße euch!«
Drei Boten saßen in dem Büro und waren schwer beschäftigt. Sie hatten eine große Auswahl an Snacks und Getränken vor sich stehen. Zwei von
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