Bote ins Jenseits
Für einen Moment wog er ab, ob er die Polizei holen oder sich selbst über den oder die Eindringlinge hermachen sollte.
Eine bekannte Stimme nahm ihm die Entscheidung ab.
»Andreas? Alles in Ordnung, ich bin es.«
Wenn er dachte, dass Einbrecher schlimm gewesen wären, musste er sich jetzt der Erkenntnis beugen, dass die Frau, die er bis vor ein paar Tagen noch seine feste Freundin genannt hatte, ungleich schlimmere Empfindungen in ihm auslöste. Was zum Teufel hatte sie hier verloren? Die Art ihres Abgangs ließ eigentlich keine Fragen offen, eine reumütige Rückkehr zu ihm hielt er für ausgeschlossen, auch wenn er sich insgeheim nichts sehnlicher wünschte.
Sie kam mit einem kleinen Karton unter dem Arm aus der Küche und stellte ihn auf der Sofakante ab.
»Was machst du hier? Wie bist du reingekommen?«, fragte er mit fiepsiger Stimme und ärgerte sich darüber, dass er nicht gleichgültig genug – geschweige denn männlicher – geklungen hatte.
»Ich freue mich auch, dich zu sehen, Andreas«, sagte sie vorwurfsvoll. »Hab den Hausmeister gebeten, mich reinzulassen. Du hast ihm nicht erzählt, dass wir nicht mehr zusammen sind?«
»Das… hab ich wohl vergessen. Jetzt sag schon, was machst du hier?«
Sie antwortete nicht, nahm den Karton und ging zum CD-Regal.
»Ein paar meiner Sachen habe ich noch nicht mitgenommen. Tupper-Zeugs und ein paar CDs. Das hole ich jetzt nach, wenn du nichts dagegen hast.«
Er schmiss seinen Schlüssel in eine mit rotem Sand gefüllte Schale auf der Kommode und ging ins Badezimmer.
»Als wenn dich das aufhalten könnte«, murmelte er.
»Das habe ich gehört! Danke für die Blumen!«
Musiol war aufgeregt und öffnete seinen Spiegelschrank mit mehr Schwung als nötig. Eine Dose mit Aspirin und die Flasche mit seiner Mundspülung schleuderten aus der Tür und landeten, zu seiner großen Erleichterung, auf der kleinen Matte, die er im Bad liegen hatte. Es ging nichts kaputt. Er sammelte die beiden Behältnisse leise fluchend wieder auf, stellte sie zurück und entnahm dem Schränkchen einen kleinen Plastikbeutel, mit dem er wieder zurück ins Wohnzimmer ging.
»Wo ist meine ›Greatest Hits‹ von Abba?«, fragte sie, ohne ihn anzusehen.
»Was weiß ich. Du hast die doch ständig gehört. Mir ist sie seit neulich nicht mehr in die Hände gefallen.«
»Scheiße!«
Er holte sich seinen Tabak, ein großes Blättchen und begann, unter Dreingabe des Inhalts aus dem Plastikbeutel, sich sein Tütchen zu drehen. Das war einer der wenigen Vorteile ihrer Trennung. Er musste es jetzt nicht mehr heimlich machen, wenn sie da war. Sie konnte darüber ziemlich ärgerlich werden und hatte ihn schon oft vor die Wahl zwischen seinem Stoff und ihr gestellt. Inzwischen hatte sie ihm die Wahl abgenommen.
»Ah! Da ist sie ja, noch im Player.«
Sie drehte sich zu ihm um.
»Hast du seit drei Tagen keine…«
Ihr Blick fing das kegelförmige weiße Objekt in seiner Hand ein, und sie ließ enttäuscht den Kopf sinken.
»Ist das etwa ein Joint?«, fragte sie.
Innerlich zuckte Musiol zusammen wie ein Hund, der von Herrchen wegen Schuhekauen zusammengestaucht wird, und er ärgerte sich noch mehr über sich selbst.
»Ja, das ist ein Joint. Außerdem hat dich das gar nicht mehr zu interessieren. Ich könnte mir hier jetzt sogar ‘ne Line ziehen oder Heroin spritzen, ohne dass es dich stören müsste.«
Sie sah ihn fassungslos an. »Warum bist du nur so feindselig? Richtig gemein kannst du sein. Dass mir das vorher nie aufgefallen war. Was ist bloß mit dir geschehen?«
In ihrer Stimme lagen Mitleid und Fürsorge. Beides klang nicht gekünstelt, sondern echt, und das machte ihn noch ärgerlicher.
»Was mit mir geschehen ist? Du hast mich ohne einen triftigen Grund einfach so verlassen! Abserviert! Fallen gelassen! Schon vergessen?«
Sie atmete tief durch. »Das stimmt nicht, und das weißt du auch ganz genau. Ich hatte einen Grund. Wenn du ihn nicht nachvollziehen kannst, bestätigt mir das bloß die Richtigkeit meiner Entscheidung.«
»Oh bitte, fang nicht wieder damit an. Du willst mir immer noch erzählen, dass du mich wegen meinem toten Arbeitskollegen verlassen hast? Den du nicht mal kanntest?! Das ist lächerlich, mein Schatz.«
»Ich bin nicht mehr dein Schatz!«, zischte sie, und Musiol spürte einen Stich ins Herz.
Sie ging zu ihm und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. »Und nein, ich habe dich nicht seinetwegen verlassen. Ich habe dich wegen deiner Reaktion auf seinen
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