Bote ins Jenseits
Tod verlassen. Diese Gleichgültigkeit über den Tod deines Arbeitskollegen hat mir Angst gemacht. Du hast es sogar fertiggebracht, meine Angst nicht ernst zu nehmen. Ich habe versucht, dich darauf aufmerksam zu machen, aber du hast es entweder nicht bemerkt oder ignoriert. Ich kann einfach nicht mit einem Menschen zusammen sein, dem nichts etwas auszumachen scheint. Das hat mich schon immer an dir gestört, aber ich habe gedacht, es würde schon irgendwie gehen. Die Sache mit deinem Arbeitskollegen war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Es geht einfach nicht.«
Musiol spielte mit seinem Joint herum und suchte nach einer schlagfertigen Antwort, die gleichermaßen intelligent wie verletzend sein sollte. Die kurze Zeitspanne, in der man noch von Schlagfertigkeit hätte reden können, war bereits abgelaufen, als das Klingeln an der Tür ihn vor einer Blamage rettete.
Kamp und Gregor befanden sich mit dem Bus auf dem Weg in die Innenstadt. Gregor konnte Bus fahren im Grunde nicht leiden. Im Jenseits galt es schon, alle Wege mit einem solchen Transportmittel zurückzulegen, und Auto fahren machte ihm für gewöhnlich großen Spaß. Seine Erfahrungen mit der Kölner Innenstadt waren aber frisch und die Wunden an seinem Ego hatten noch nicht mal angefangen, Schorf zu bilden. Bevor er noch einen Mord begehen würde, hielt er es für das Beste, das kleinere Übel zu wählen.
»Das ist ein echter Nachteil mit dieser lästigen Müdigkeit. Wie kommen die Menschen damit nur zurecht?«
Kamp hechelte verträumt. »Och, man gewöhnt sich dran. Wenn man das jeden Tag durchzieht, gehört es irgendwann einfach dazu.«
Gregor nickte, rieb sich das Gesicht und blinzelte verschlafen. Kamp bemerkte, dass die übrigen Passagiere versuchten, einen möglichst großen Abstand zu ihnen zu halten. Ein Paar, das erst vor ihnen saß, wechselte sogar seinen Platz. Nur ein älterer Mann, der es irgendwie fertigbrachte, noch versiffter zu wirken als Gregor, hielt sich nicht mit derlei Oberflächlichkeiten auf und blieb eisern hinter den beiden sitzen. Wahrscheinlich dachten die anderen, dass er zu Kamp und Gregor gehörte.
Kamp sah nach draußen und beobachtete die vorbeiziehenden Häuserzeilen, die er nur zu gut kannte. Ein wehmütiges Gefühl überkam ihn. Nie wieder würde er dort entlanggehen oder -fahren. Eine komische Vorstellung, deren Endgültigkeit einem erst bei der direkten Konfrontation richtig bewusst wurde. Zumindest stand ihm die Möglichkeit zu reinkarnieren jederzeit offen. Darüber würde er nachdenken, wenn dies alles für ihn abgeschlossen sein würde.
Etwas geriet in sein Blickfeld, was ihn vor Schreck zusammenfahren ließ. Er sprang auf Gregors Schoß und versuchte es genauer zu erkennen, aber sie waren schon daran vorbeigefahren.
»Alles klar bei dir? Du zitterst!«
»Ich… weiß nicht. Ich habe gerade etwas gesehen«, sagte Kamp mit bebender Stimme.
»Eine Pudeldame?«
Kamp knurrte Gregor an. »Witzbold! Nein, wenn mich nicht alles täuscht, habe ich gerade eine Tür gesehen.«
Der Bote sah aus dem Fenster. »Also, wenn es dir irgendwie hilft, ich kann jede Menge Türen sehen, und sie machen alle einen sehr friedlichen Eindruck auf mich.«
»Nein, nein! Keine normale Tür. So eine, wie die in meinem Büro, unmittelbar nach meinem Tod. Bitte Eintreten. Große Flügel drauf. Strahlend weiß.«
»Ach so! Ja, gut möglich. Aber immer noch kein Grund zu zittern.«
Kamp starrte Gregor an. Der machte keine Anstalten, seine Ausführungen zu vertiefen, und kämpfte stattdessen weiter gegen seine Müdigkeit an.
»Würde es dir was ausmachen, mir das zu erklären?«, fragte Kamp ungeduldig.
»Warum du die Tür gesehen hast?«
Wieder maß der Bote Kamp mit seinem durchdringenden Röntgenblick, und abermals war Kamp nicht in der Lage, den Blick abzuwenden. Gregor drehte den Kopf zur Seite und sah eine Zeit lang nachdenklich aus dem Fenster. Schließlich nickte er und sah Kamp wieder an.
»Sag du es mir. Du weißt es.«
»Was? Wie jetzt? Woher soll ich das wissen? Wenn ich es wüsste, bräuchte ich dich nicht fragen.«
»Hör auf, dich rauszureden! Geh in dich. Denk nach. Das Wissen ist in dir, du musst nur drauf zugreifen. Ich weiß, dass du es weißt.«
Kamp hätte sich gewünscht, ein Anzeichen für einen dummen Scherz im Gesicht des Boten zu entdecken, aber da war nur reine Aufrichtigkeit. Gregor meinte es ernst.
Er hasste es, wenn er jemandem eine Frage stellte oder um eine Erklärung für
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