Bote ins Jenseits
dass eine Seele sich wer weiß wie viele Jahre des ziellosen Umhergeisterns auf Erden ersparte, sollte man das doch um Himmels willen zulassen. Er wäre im Nachhinein garantiert stinksauer gewesen, wenn man ihm nach langer Zeit des Herumspukens dann irgendwann erzählt hätte, dass von Anfang an ein Bote hinter der Tür lauerte, der untätig darauf wartete, dass man endlich die Klinke drückt, anstatt vielleicht selbst mal nachzuschauen, warum sich nichts tut. Aber wer war er schon, dass er seine Regeln in Frage stellte.
Schließlich gelangten sie zu Musiols Wohnung. Kamp war schon oft an dem Gebäude vorbeigegangen. Es lag Am Weidenbach, ganz in der Nähe von Tibbes Wohnung, und so war er hier zwangsläufig vorbeigekommen, wenn er in der Altstadt unterwegs gewesen war. Es handelte sich um einen sanierten Altbau, in den Kamp nicht für Geld und gute Worte gezogen wäre. Er hatte keine Ahnung, wie die Wohnungen von innen aussahen, aber manche Gebäude schrien einem förmlich zu, sie besser zu meiden. Es war nicht mal wirklich hässlich, aber irgendetwas bewirkte, dass sich Kamp die Nackenhaare aufstellten, damals als Mensch und auch jetzt als Hund.
Vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass Musiol hier wohnte.
Sie erklommen die Treppen in den ersten Stock, und Gregor klingelte. Sie hörten, wie zwei Stühle zurückgeschoben wurden, und die Tür öffnete sich.
Musiol streckte sein Gesicht heraus. »Was?!«, fragte er genervt.
»Wunderschönen guten Tag, Herr Musiol. Schröder mein Name. Ich bin Privatermittler und hätte ein paar Fragen an Sie, wenn es Ihre Zeit zulässt.«
Musiol machte ein böses Gesicht. »Das tut sie leider nicht! Schönen Tag noch.«
Hinter Musiol erschien eine Frau. Weder Gregor noch Kamp hatten sie je zuvor gesehen. Kamp hatte nie darüber nachgedacht, ob Musiol wohl eine Freundin – vielleicht sogar eine Ehefrau – haben könnte. So überraschte es ihn, das Gesicht einer durchaus attraktiven, jungen Frau neben dem Kopf seines potenziellen Mörders auftauchen zu sehen.
»Du hast ihn ja noch nicht mal gefragt, worum es überhaupt geht. Sei doch nicht gleich so abweisend«, herrschte die Frau Musiol an.
Der warf ihr einen überraschten Blick zu, öffnete und schloss den Mund mehrmals und sah schließlich wieder zu Gregor.
Kamp feixte sich einen. Dass Musiol in einer Beziehung den Part des Schwächeren einnehmen würde, überraschte ihn eindeutig nicht.
»Ähem, also, worum geht es überhaupt?«
Gregor lächelte unverbindlich. »Nett, dass Sie fragen. Meine Auftraggeberin ist Frau Heike Kamp, die Schwester Ihres kürzlich verstorbenen Arbeitskollegen Thore Kamp. Es geht um seinen Tod.«
Musiol und seine Freundin sahen sich mit offen stehenden Mündern an. Während sich in die Züge der jungen Frau die Andeutung eines überraschten Grinsens schlich, wurde Musiol aschfahl und machte einen ziemlich jämmerlichen Eindruck.
Gregor bemerkte, wie sich Kamp das Fell aufrichtete. Er versuchte ihn mit Streicheleinheiten zu beruhigen. Möglicherweise waren Scham und Unbehagen, von einem Mann gestreichelt zu werden, groß genug, um ihn von seinem Zorn abzulenken. Er lächelte weiter sein unverbindliches Lächeln.
»Darf ich denn ein wenig von Ihrer Zeit in Anspruch nehmen? Es wären wirklich nur ein paar Fragen. Wird nicht lange dauern.«
Musiol starrte seinen unerwarteten Besuch mit einem an Einfältigkeit schwer zu überbietenden Gesichtsausdruck an. War das noch Zufall? Auch wenn ihm seine Joints heilig waren, hatte er doch – entgegen der landläufigen Meinung, die beides eng miteinander verknüpfte – mit dieser, wie er es nannte, elenden Esoterik-Scheiße so rein gar nichts am Hut.
Trotzdem stand ihm jetzt, zum krönenden Abschluss eines der grässlichsten Tage der jüngeren Vergangenheit, auch noch ein Gespräch zum Thema Thore Kamp ins Haus. Und das just in dem Moment, wo er sich über genau dieses Reizthema mit seiner Ex in die Wolle bekommen hatte.
Wenn einen das nicht dazu zwingen musste, über das Schicksal im Allgemeinen und einen latenten Hass des Schöpfers auf ausgerechnet ihn im Speziellen nachzudenken, dann wusste er es auch nicht.
Seine Ex hatte ihm mal ein T-Shirt mit der Aufschrift »fucked by fate« geschenkt. Den Spruch hatte sie darauf drucken lassen, aber sie hatte betont, dass das geistige Urheberrecht daran allein ihm gehörte. Sie kannte niemanden, der sich so unablässig über sein verkorkstes Leben beklagte und die Schuld dafür bei höheren Mächten
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