Bote ins Jenseits
seinem langweiligen Job den Tag zu verderben.
In der Controlling-Abteilung ging die Arbeit nie aus. Irgendwelche Kennziffern konnte man immer aktualisieren oder neu berechnen. Bestimmten Faktoren, die sich tagtäglich auf das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen auswirkten, galt es immer auf die Schliche zu kommen.
Einer der letzten Bereiche, die im Körper eines Unternehmens abstarben, war der Bereich der Statistiken und Kennzahlen, der Finanzmathematik und Belegbuchungen. Es war die Controlling-Abteilung, das – wie der Abteilungsleiter immer sagte – Gehirn und schlechte Gewissen eines jeden Unternehmens.
Dieser langweilige Spießer!
Für Andreas Musiol bestand kein Zweifel daran, dass dieser Blödmann von einem Vorgesetzten an diesen Quatsch tatsächlich glaubte. Eines der großen Rätsel in seinem Leben – und sich mit diesem Rätsel zu beschäftigen, unterlief ihm nur im Zustand grässlichster Langeweile – war die Frage, was schiefgelaufen war, dass er ausgerechnet diesen Beruf ergriffen hatte. Vermutlich lag es daran, dass ihn eigentlich noch nie etwas wirklich interessiert hatte, er aber irgendwann dem Druck, sich für irgendeinen Beruf entscheiden zu müssen, nachgegeben hatte.
Da er trotz seines eklatanten Mangels an Ehrgeiz und seiner demonstrativen Gleichgültigkeit mit einer überdurchschnittlichen Intelligenz gesegnet war, hatte er wegen seiner ebenfalls überdurchschnittlichen Zeugnisse die freie Wahl gehabt und sich schließlich entschieden, Industriekaufmann zu lernen. Ein Beruf, bei dem man sich wenigstens nicht körperlich anstrengen musste, was letztlich der ausschlaggebende Grund gewesen war. Überlegungen wie »Was kann man später damit anfangen?« oder »Interessiert mich das überhaupt?« gingen über das Maß an Anstrengung, welches er bereit war, auf sich zu nehmen, hinaus und waren für ihn daher nicht von Belang gewesen.
Nur zu gern hätte er einfach weiter die Schulbank gedrückt und ein Studium angefangen. Lernen fiel ihm leicht, und bei seinen schulischen Qualifikationen gab es praktisch keinen Numerus clausus, den er fürchten musste. Der Nachteil dabei war allein die Tatsache, dass er kein Geld verdienen würde. Es gab in seinem Leben ein paar Angewohnheiten, die er lieb gewonnen hatte, die aber leider nur unter Einsatz finanzieller Mittel aufrechterhalten werden konnten. Auch wenn ihn seine Eltern nicht gerade kurz hielten, empfand er es doch als lästig, jedes Mal zumindest eine kurze Begründung für seine Geldforderungen liefern zu müssen. Er war schlicht zu faul, sich immer wieder etwas Neues einfallen zu lassen.
Sein nicht zu übersehendes Talent im Umgang mit Zahlen besiegelte schließlich sein Schicksal. Nach Beendigung seiner Lehre bot man ihm an, dieses Talent in der Controlling-Abteilung zu nutzen. Es war ganz sicher nicht sein Herzenswunsch, letztlich aber der einfachste Weg.
Irgendwie gelang es ihm, diesen entsetzlich zähflüssigen Arbeitstag hinter sich zu bringen. Eigentlich wäre ein Gang in seine Stammkneipe, das »Cave«, jetzt die angemessene Belohnung für so viel Leiden gewesen, aber es handelte sich beim heutigen Tag um einen waschechten Scheißtag. Nicht mal dazu hatte er jetzt noch Lust. Die Ergebnisse seiner Reflexion hatten ihm nachhaltig die Laune verdorben, und er wollte es seinen Leuten nicht antun, sie mit seiner Gegenwart runterzuziehen. Immerhin war er schon seit ein paar Tagen die Spaßbremse vom Dienst, und seine Anwesenheit warf einen Schatten auf die ansonsten fröhliche Zusammenkunft seiner Kumpels. Gewisse Ereignisse konnten sogar jemanden wie ihn in die Knie zwingen.
So fuhr er ohne Umweg nach Hause. Er würde sich ein nettes kleines Tütchen basteln und es vor der Glotze in Begleitung von ein paar Flaschen Bier inkorporieren. Vielleicht würde auf diese Weise wenigstens der Rest des Tages noch sein Freund. Dabei ein paar alte Platten aufzulegen konnte auch nicht schaden.
Musiol schob den Schlüssel ins Schloss und wunderte sich, dass die Tür nicht abgeschlossen war. Das passierte ihm eigentlich nicht mehr, seit ein paar Typen in seine erste, damals nicht abgeschlossene, eigene Wohnung eingebrochen waren und sie von sämtlicher Unterhaltungselektronik befreit hatten. Sogar seine ausgekachelten Hochleistungsboxen hatten sich die Mistkerle unter den Nagel gerissen, eins der seltenen Ereignisse, die ihn zum Weinen veranlasst hatten.
Er öffnete die Tür und hörte Geräusche aus der Küche. Jemand war in seiner Wohnung!
Weitere Kostenlose Bücher