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Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)

Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)

Titel: Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Víctor Conde
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Er hatte darauf bestanden, auf dem Sofa zu schlafen, solange Séfora ihnen kein zusätzliches Zimmer organisierte, und Tanya das Bett überlassen (sosehr sie sich auch manchmal stritten, er hätte sofort zugegeben, dass dieses Mädchen eine große Anziehungskraft auf ihn ausübte. Daher sammelte er schon einmal fleißig Punkte für den Fall, dass er irgendwann etwas in dieser Richtung unternehmen wollte). Aber die Lücken zwischen den Polstern hatten ihm den Rücken ruiniert.
    Mauro und Rhea schliefen zusammen auf dem Boden. Die Kälte schien sie nicht zu stören.
    Erik schüttelte den Kopf. Vor seinem inneren Auge zogen die Gesichter einiger krankhaft anhänglicher Leute vorüber, die er im Laufe seines Lebens kennengelernt hatte. Leute, die er immer sofort abgewimmelt hatte. Die barmherzige Ader, also die Bereitschaft, seinen Nächsten zu helfen und für andere Verantwortung zu übernehmen, war bei ihm zugegebenermaßen nicht besonders ausgeprägt. Und das ging alles auf seine erste Freundin zurück, eine durchgedrehte Hypochonderin, die … Nein, verdammt. Diese Tür würde er lieber nicht noch einmal aufmachen. Er versuchte sich an ihr Gesicht zu erinnern, nur um sie dann schnell wieder zu vergessen.
    Mit entsetzlichen Rückenschmerzen schleppte er sich die Treppe hinunter zur Rezeption. Die unerwartete Verwandlung der Pension in ein japanisches Teehaus war weiter fortgeschritten: Das Treppengeländer aus Mahagoniholz bestand aus zwei ineinander verschlungenen kämpfenden Drachen.
    Erik fragte sich, ob ihn unten jetzt eine Geisha erwartete, mit Mandelblüten-Kimono und Holzsandalen. Aber am Empfang war niemand. Der Ventilator auf dem Tresen drehte lustlos seine Flügel, als hätte er begriffen, wie sinnlos es war, so viel heiße Luft zu bewegen.
    Draußen schien wie immer die Sonne. Das Thermometer kletterte auf vierundvierzig Grad, und die gelbe Malerei auf den blauen Türen und Fenstern schien in der Hitze zu flackern. Nichts regte sich. Erik begriff, dass diese Stadt in manchen Monaten des Jahres erst bei Dämmerung zum Leben erwachte, wenn die Brise das Klima ein wenig abkühlte.
    Er trat hinaus. Die Gasse war so gut wie leer. Ein Mädchen, das sich nur wenige Meter von der Pension entfernt über ein Geländer beugte und aufs Meer hinunterschaute, war das einzige Fünkchen Leben in der gleißenden Hitze.
    Erik erkannte sie sofort. Es war das Mädchen, das er am vorletzten Abend kennengelernt hatte. Die mit dem klassischen Namen. Wie lautete er noch? Cleopatra … Nein. Briseis … Auch nicht. Er schnalzte mit den Fingern, während er langsam auf sie zuging, und betete, ihm möge ein Licht aufgehen, bevor er sich die Blöße geben musste nachzufragen.
    »Cassandra«, sagte sie unvermittelt. Ihr Lächeln war genauso strahlend wie beim letzten Mal, imstande, die dunkelste Nacht zu erhellen. Nur ihre Frisur war anders. Die Haare waren im Punk-Look nach oben gegelt und warfen zackige Schatten auf ihr Lächeln.
    Erik wurde rot.
    »Woher wusstest du, dass ich auf der Leitung stehe?«
    »Ich konnte es ahnen. Erinnerst du dich?«
    »Ah, ja. Das war die Sache mit dem Hellsehen, und wie man den Göttern Hörner aufsetzt. Ich erinnere mich. Auf wen wartest du?«
    Sie blickte wieder gedankenverloren aufs Meer hinaus.
    Erik biss sich auf die Unterlippe. Er wusste wirklich nicht, warum ihn diese Frau so sehr anmachte, aber jede ihrer Bewegungen, jede noch so subtile Andeutung ihrer Kurven unter dem an sich schlichten Kleid ließen sein Herz schneller schlagen.
    Als sich das Schweigen in die Länge zog, beschloss Erik, nicht lockerzulassen. »Komm! Du wirst doch wohl nicht abstreiten, dass du wusstest, in welcher Pension ich bin. Oder willst du mir weismachen, dass du nur zufällig hier vorbeigekommen bist, um die Aussicht zu genießen?«
    »Wie heiß es heute ist!«, sagte sie kokett und tat so, als fächelte sie sich Luft zu. »Sogar die Gardenien im Schatten werfen Blasen.«
    »Du weichst aus.«
    »Dir? Oder deiner Frage?«
    »Wenn ich es mir aussuchen kann, ziehe ich Letzteres vor.«
    »Ich mag Gardenien. Wo ich herkomme, gibt es keine.«
    Erik wollte sich neben ihr auf das Geländer stützen, aber der Kontakt mit dem Metall ließ ihn erschrocken zurückzucken. Die Sonne hatte es mit ihrer unerbittlichen Kraft gleichsam zum Glühen gebracht. Cassandra schien das nicht weiter zu stören.
    »Wie auch immer. Ich wollte nur mal Hallo sagen«, sagte sie und nahm eine Tüte mit dem Logo eines Einkaufszentrums vom Boden auf.

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