Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)
bemerkte Erik spöttisch. »Es waren einmal ein Strafengel, eine Heilerin und ein Cherub …«
Séfora erklärte die Versammlung für beendet. Sie stand auf und klopfte sich den Staub von der Jeans. »Ich muss gehen.« Nachdem sie sich ein paarmal um sich selbst gedreht hatte, wobei sie einen Finger auf den Horizont gerichtet hielt, schloss sie: »Nach Osten, ja. Genau dort ist es.«
»Warum gerade in diese Richtung?«, wollte Tanya wissen. »Was spricht gegen die anderen 359 Grad?«
»In allen anderen Richtungen gibt es nur Unglück«, flüsterte Mauro.
»Bald werdet ihr es verstehen. Wir sehen uns heute Abend in der Pension«, sagte Séfora. »Ich werde versuchen, Geld aufzutreiben, damit ihr mir nicht verhungert.«
» Sí Señorita . Das wäre ein echter Fortschritt.«
»In der Tat«, stimmte sie zu. »Eine Sache noch, bevor ich gehe: Ihr kennt jetzt Details aus dem Leben der anderen, die für den einen oder andern recht heikel sein könnten. Es wäre gut, wenn ihr euch gegenseitig vertraut, um spätere Konflikte zu vermeiden.«
Und damit verschwand sie. Sie schlüpfte in ihre Engelsgestalt und machte sich unsichtbar. Die vier versammelten sich vor der Kirche. Der nächste Bus würde sicher gleich kommen.
Tanya mied die Blicke der anderen. Sie nahm an, dass die Situation auch für sie unangenehm war. Während des Traums, oder was es gewesen war, hatte sie die eine oder andere Erinnerung ihrer Kameraden gesehen, Geschehnisse, die sie ihr womöglich nie anvertraut hätten. Und sie vermutete, dass Erik und Mauro auch über ihre privaten Dinge Bescheid wussten, über die sie lieber nicht sprechen sollten, wenn sie eine kameradschaftliche Beziehung aufrechterhalten wollten.
Das mit der Kommunion war ganz schön ätzend. Sosehr Séfora auch beteuerte, dass es ihnen helfen würde, ihre Verbindung zu festigen.
Jetzt wusste sie zum Beispiel, dass Erik seinen besten Freund betrogen hatte. Er hatte ihm die Liebe seines Lebens ausgespannt und es ihm nie gestanden, nicht einmal, als die Stunde der Trennung kam, als das Mädchen mit ihm Schluss machte, um ihr eigenes Leben zu leben. Nicht einmal dann hatte Erik ihm die Wahrheit gesagt. Stattdessen erfand er einen fiktiven Liebhaber, der sie vermutlich während der Dreharbeiten verführt hatte, und bot seinem Freund eine Schulter an, an der er sich ausweinen konnte … Und das, obwohl er sich seiner Schuld die ganze Zeit über voll bewusst war.
Erik hatte sich wie ein Feigling benommen. Und das Schlimmste: Es war ihm egal gewesen. Dahinter verbarg sich eine einfache Abwägung von Vor- und Nachteilen. Auch er hatte das Mädchen letztlich nicht bekommen und entsprechend gelitten. Da wollte er nicht riskieren, dass am Ende auch noch die Freundschaft mit Antonio in die Brüche ging.
Mauro war eine lebende Tragödie, ein fleischgewordenes Spektakel aus Leid und Ungerechtigkeit. In seinem Leben war alles schiefgelaufen. Angefangen bei seinem Vater, der ihn prügelte, bis hin zu seiner kalten, gefühllosen Mutter, die die Ansichten ihres Ehemanns bedingungslos unterstützte, so absurd sie auch waren. Irgendwann hatte er die erstbeste Gelegenheit ergriffen, um aus dieser Hölle auf Erden zu fliehen. Er hatte den ersten Zug genommen, der ihn wegbringen sollte, weit weg in ein besseres Leben. Doch dieses Leben erwies sich als trostloser, als er angenommen hatte.
Nachdem er mehrere Pflegeheime und andere soziale Anlaufstellen abgeklappert hatte, fand er in einem Kollektiv von Emos die gleiche existenzielle Rastlosigkeit, die auch ihn quälte. Die Freundschaft mit Rhea gab ihm nicht nur den Halt, den er so dringend brauchte, sondern auch die Vorlage für ein Nicht-Leben. Für ein leidvolles Dasein in ständiger Reue, mit dem man die Aufmerksamkeit der Außenwelt auf sich ziehen konnte. Gemeinsam hatten sie schmerzhafte Erfahrungen gesammelt. Sie hatten sich gegenseitig mit dem Rasiermesser die Unterarme aufgeritzt, um den ganzen Schmerz ihres Daseins auszukosten … Aber im Grunde seines Herzens war er kein hoffnungsloser Fall. Tanya spürte, dass es noch Hoffnung für ihn gab. Und für Rhea.
Tanya konnte nicht anders, als sich immer wieder dieselbe Frage zu stellen: Was hatten Erik und Mauro über sie erfahren? Welches verborgene Geheimnis hatte sich ihnen offenbart, ohne dass sie selbst etwas davon wusste?
Vielleicht die wenig romantische Weise, wie sie ihre Unschuld verloren hatte, an jenem schwarzen Tag auf der Party am Strand, an dem die Flaschen niemals ganz leer
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