Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)
exotisch.
Séfora und ihre Schüler wurden von dem kleinen Motorboot eines Reiseveranstalters zur Insel gebracht. Nachdem sie an Land gegangen waren, trennten sie sich von der Reisegruppe und machten sich auf den Weg in das Zentrum der winzigen Insel, wo Dazit und Feldspat von kristallinem Schwarz bis zu Perlmuttgrau die schönsten Farbschattierungen erzeugten.
Kein Tourist störte sie, aber das wunderte sie nicht mehr. Seit dem Erlebnis auf dem Berg, als Séforas Gegenwart sie auf wundersame Weise vor den Blicken der Menschen geschützt hatte, nahmen sie es einfach hin, ohne weiter darüber nachzudenken.
Der Engel forderte sie wieder auf, einen Kreis zu bilden, und positionierte sich in der Mitte. Die Sonne brannte mit aller Gewalt auf sie herunter, aber es machte ihnen nichts aus. Die Erde war heiß, als hätte sie sich über Jahrtausende hinweg einen Funken jener legendären Brutalität bewahrt.
»Gestern habt ihr etwas ganz und gar Wunderbares kennengelernt«, begann sie. »Etwas, über das kein weiteres Lebewesen auf der Erde Kenntnis besitzt. Es wird euch hart und widerstandsfähig machen und euer Selbstvertrauen stärken.« Dabei blickte sie verstohlen zu Mauro. »Aber ihr werdet von diesem Wissen auch abhängig sein. Ihr werdet das Gelernte weder vergessen noch ignorieren können. Nun, da ihr eine Ahnung von eurem Schicksal habt, steht ihr in einer Bringschuld, und ihr werdet in euch das dringende Bedürfnis verspüren, eure Pflicht zu erfüllen.«
»Sag nicht, dass man uns für die Vision eine Mautgebühr berechnet«, scherzte Erik.
»Nein, aber ich möchte, dass ihr euch an die Bilder erinnert.« Die Stimme des Engels verhärtete sich. »An die Gefühle, die sie in euch hervorriefen. An das Feuer, das sie in eurem Innern entfachten.« Sie schritt im Kreis vor ihnen vorbei. Von Erik zu Tanya, und von ihr zu dem Binom Mauro-Rhea. »Ich möchte, dass ihr euch darauf stützt und aufsteht, um noch weiter zu sehen. Ich verlange von euch, dass ihr eure Seele ausbreitet, damit ihr imstande seid, selbst den Weg im Nebel zu finden. Er ist für euch geebnet, nur für euch, vergesst das nie.«
»Jetzt mal langsam, Süße. Das ist ja alles ganz nett und sehr metaphysisch, aber ich brauche konkrete Anweisungen«, erklärte Erik. »Unsere Generation funktioniert eher nach dem Prinzip: a) zuerst macht ihr das, b) dann macht ihr das und c) dann geht ihr dahin. Eine klare Aufgabenstellung, du weißt schon. Und wenn es dann noch mit wenigen Worten und vielen Illustrationen gehen würde, umso besser.«
Séfora schnitt eine Grimasse.
»Wie du willst, Süßer . Wenn du so viel Wert auf visuelle Informationen legst, dann hilft dir vielleicht das hier.«
Sie schloss die Hand zu einer hohlen Faust, als hielte sie eine imaginäre Stange. Ein paar Sekunden passierte gar nichts. Es sah komisch aus, wie der Engel so reglos dastand, ein unsichtbares Glas in der Hand, während er ein angestrengtes Gesicht machte, als wollte er etwas sagen, das er eigentlich für sich behalten musste.
Erik lachte bei dem Anblick spöttisch auf.
Aber plötzlich füllte sich der Hohlraum mit Licht, und ein silbernes Schwert stieg aus ihm hervor. Erst das Heft, das wie die Entasis einer dorischen Säule zur Mitte hin breiter und so lang war, dass beide Hände nebeneinander Platz hatten. Dann die Parierstange, groß und opulent, mit herausgeschnitzten Engelsfiguren, deren Flügel wie Stacheln nach vorne, in Richtung Feind zeigten. Und zuletzt die schmale, silberglänzende Klinge, die eine Substanz absonderte, die mehr als Licht aber weniger als Luft war. Es war ein Schwert von unermesslicher Schönheit, aus einem Kristall, das nicht stofflich, sondern in der Zeit verhaftet zu sein schien.
Séfora schwang das Schwert mit einer Feierlichkeit und Leichtigkeit, als wöge es gar nichts, als handelte es sich um ein Trugbild am Ende eines Traums. Die Klinge zerschnitt die Luft. Aber sie zerschnitt sie wirklich. Das Geräusch, das dabei entstand, konnte nur von den Molekülen herrühren, die durch den Kontakt mit der Schneide, die über alles Begreifbare hinausging, einfach zerplatzten.
Dann richtete sie das Schwert zur Erde und beschrieb mit der Spitze einen Bogen. Als sie auf einen Stein stieß, geschah etwas überaus Verwunderliches: Die Klinge zerschnitt den Stein, als wäre er butterweich, blieb aber jäh stecken, als sie auf einen kleinen schwarzen Fleck traf, der sich im Zickzack über den Stein bewegte.
Als sie sich hinunterbeugten, um zu
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