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Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)

Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)

Titel: Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Víctor Conde
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versuchte sie sich zu rechtfertigen. »Du kamst zum denkbar unpassendsten Zeitpunkt. Du hast uns nur Not und Elend beschert.«
    »Und dafür habt ihr mich bestraft?«, schrie Mauro. Er öffnete die Türen seines Herzens für all die Wut, die sich über so viele Jahre in ihm angestaut hatte. Die unerwartete Schwäche seiner Mutter, die für ihn immer eine Person mit despotischer Autorität gewesen war, ließ aus den Funken Flammen werden, die ganze Gebiete seiner Seele in Brand steckten. »Ist es vielleicht meine Schuld, dass ich geboren wurde? Ich war nur ein unschuldiges Kind, das Liebe und Zuneigung brauchte, verdammt! Ihr wart Unmenschen!«
    »Das ist wahr«, gab sie zu. Ihre Augen verwandelten sich wieder in obsidianfarbene Kugeln, schwarze Löcher, in denen sich der Zorn der Welt gesammelt hatte. »Wir sind alle Unmenschen. Vor allem du, du sabbernder kleiner Heulpeter! Was dein Vater mit dir gemacht hat, geschah dir ganz recht. Ich wünschte, er hätte noch fester zugeschlagen.«
    Mauro erhob drohend die Faust zum Schlag. Die alte Frau zuckte zusammen, bereitete sich auf den Hieb vor, der sie wahrscheinlich getötet hätte …
    Mauros Hand ging nicht auf sie nieder. Langsam ließ er sie sinken und die Drohung verebben.
    Die Frau sah ihn an, als ginge das, was gerade passierte, über ihren Verstand hinaus. Als wäre es schon aus rein logischen Gründen nicht möglich, dass er sie nicht bestrafte.
    »Warum?«, fragte sie.
    Mauro lächelte. »Du lügst. Tatsächlich bereust du über alle Maßen, was geschehen ist, und du betest jede Nacht, um es ungeschehen zu machen. Darum hörst du nicht auf, mit Tränen in den Augen auf diese Tür zu starren, immer in der Hoffnung, ich könnte eines Tages hereinkommen.«
    »Nein!«, schrie sie mit der Stimme einer Harpyie. »Ich habe dich gehasst! Deine Geburt war ein Fluch, der mein Innerstes zerstört hat!«
    »Das ist nicht wahr. Ich habe dich gehört, Mama, jedes deiner Gebete. Ich habe das Flehen und Bitten vieler Leute gehört, aber deines war besonders traurig. Ich nannte dich die Schwarze Flamme, weil dein Licht so dunkel war wie der Schmerz, wie diese Tragödie.«
    »Du hast mich gehört?«
    »Ja. Aber ich weigerte mich, deine Stimme zu erkennen, um dich nicht noch einmal in mein Herz zu lassen. Zu viele Wunden lagen offen … Mittlerweile aber habe ich mich mit den Stimmen versöhnt, mit allen … auch mit deiner.« Die Frau weinte, das Gesicht in den Händen verborgen.
    »Geh weg, lass mich in Ruh«, befahl sie. »Ich erlaube dir nicht, dass du mich so ansiehst.«
    Mauro legte ihr zärtlich eine Hand auf die Wange. Nicht die Erinnerungen hatten sie wahnsinnig gemacht, sondern der Wahnsinn hatte die Erinnerungen geweckt.
    »Es tut mir leid, Mama, aber jetzt, da ich es endlich begreife, habe ich eine Entscheidung getroffen. Ich vergebe dir.«
    Der Satz hallte von den Wänden und der Decke wider und schwoll zum Echo an, während sich die Szene auflöste und sowohl seine Mutter als auch das Zimmer im Nebel verschwanden.

DAS OPFER
    D ie drei erwachten zur gleichen Zeit. Die salpetrige Luft in der Nase, im Ohr das übergeschnappte Kreischen der Dämonen, die in ihrer Nähe lauerten, verorteten sie sich mit Müh und Not in der Wirklichkeit: Santorin, die Insel des Nea Kameni …
    »Tanya! Renn weg, schnell!«, schrie Erik aus vollem Hals. Noch lag er auf dem Boden ausgestreckt in Mauros Armen, aber jetzt rappelte er sich, so gut es mit seinem verletzten Bein ging, auf und entfernte sich von der Küste.
    Tanya befand sich an exakt derselben Stelle, an der sie ihren Körper zu Beginn ihres Traums zurückgelassen hatte. In der Wirklichkeit schien kaum mehr als eine Sekunde vergangen zu sein, während die Vision für sie mehrere Stunden gedauert hatte.
    Sie blickte nach oben, in die Richtung, in die Erik mit den Armen verzweifelt fuchtelnd zeigte, und erbleichte. Ihr Herz tat einen letzten Schlag, dann blieb es abrupt stehen und wartete versteinert auf das, was geschehen würde.
    Ein gewaltiger Block Stahl von dreißig Metern Höhe stürzte auf sie zu – das Heck des Luxusliners, dieses zweihundertfünfzig Meter langen, siebzigtausend Tonnen schweren achtstöckigen Riesenschiffes, das eine Welle, ganz offensichtlich eine mächtige Hand, auf die kleine Insel schleuderte.
    In den nächsten Sekunden schien die Welt auf eine einzige Zeitlupeneinstellung reduziert. Tanya schaute sich nicht um, sonst hätte das blanke Entsetzen ihren Körper noch an der kleinsten Bewegung

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