Botschaft des Schreckens
»Ich glaube, wir sollten unseren Besuch jetzt beenden.«
»Aber wir sind doch eben erst gekommen!« wandte Dona Isabella ein. »Warum sollten wir nicht mehr bleiben wie sonst auch? Was wird Señorita Terrill denken, wenn wir sie hierher führen, um sie dann gleich wieder hinauszubitten?«
Carlos schien ein wenig belustigt zu sein. Er wußte, daß ich ohnehin nicht hatte hierher kommen wollen. Nicht an diesem Abend. »Señorita Terrill wird verstehen. Außerdem haben wir alle etwas vergessen: Sie hat einen in jeder Hinsicht harten Tag hinter sich und muß jetzt sehr müde sein. Dolores wird uns entschuldigen. Sie weiß, daß dieser Abend… sagen wir… anders als alle anderen Abende ist. So gern ich auch noch bleiben möchte, anderes ist jetzt dringender. Als erstes müssen meine Brüder und ich überlegen, was wir jetzt tun sollen. Danach muß einer Joe am Tor ablösen. Wir haben gut gegessen, aber er ist noch hungrig…«
»Ja«, flüsterte ich heiser. »Wir müssen uns den Umständen entsprechend verhalten.«
»Es ist schon lange her, seit ich zuletzt einen Blick in Dolores’ Truhen geworfen habe«, erwiderte Abuela hartnäckig. »Und da Señorita Terrill heute hier ist, dachte ich…«
»Nein, nicht heute abend, querida«, fiel ihr Carlos energisch ins Wort. »Aus eben dem Grund, warum wir heute abend einen Gast hier haben, müssen wir auch unsere Schätze gut unter Verschluß halten.«
Zu meiner Überraschung bestand Dona Isabella nicht länger auf ihrem Willen. Sie sagte nur: »Nicht einmal meine Schals .«
Don Carlos zögerte. Dann sagte er ruhig: »Nein, nicht einmal deine Schals.«
Die alte Dame sah ihn aufmerksam an. »Ich dachte nicht, daß du diese Bande so ernst nehmen würdest.«
»Ich weiß«, murmelte Carlos. »Wir versuchten, es dich nicht wissen zu lassen, aber vielleicht ist es besser so.«
»Ja«, nickte sie langsam. »Geht jetzt. Señorita Terrill und ich werden euch in meiner sala erwarten. Eigentlich hatte ich noch etwas Musik im Sinn, aber wenn du glaubst, daß das gefährlich ist…«
Carlos schüttelte den Kopf. »Nein, unsere Wache wird sie hören, lange bevor sie unsere Gitarren hören. Nein« – seine Stimme verriet plötzlich Bewegung –, »wenigstens deine Musik sollst du haben. Aber solltet ihr beiden nicht bei Rosa in der Küche vorbeischauen und ihr sagen, daß wir nicht nur Tee, sondern auch ihre fabelhaften sopaipillas erwarten?«
Dona Isabella lächelte. »Sobald Rosa Musik hört, wird sie Erfrischungen bringen. Aber ich werde in die Küche gehen; ich muß Teresa sagen, wie gut sie ihre Sache gemacht hat.« Abuela zögerte. »Ich weiß, daß Musik etwas unpassend ist… ach, Father Valas schreckliches Schicksal – aber der rancho nimmt eure Zeit mehr und mehr in Anspruch, und heute abend wären wir einmal alle zusammen…«
Carlos’ Miene verzog sich schmerzlich. »Father Vala wird nichts dagegen haben«, sagte er heiser. »Und nun sag buenas noches zu Dolores, und dann werden wir wieder gehen.«
Dona Isabella sah das Porträt an. »Buenas noches, meine Tochter«, flüsterte sie. »Wir kommen bald wieder.«
Wir verließen den Raum, und Carlos verschloß sorgfältig die schweren Türen. Keine Bande in schwarzen Jacken und orangen Helmen würde jemals in dieses Heiligtum eindringen, wo die schöne Dolores in ihrem roten Taftkleid und ihrem langen, gefransten Schal wartete.
Die Männer verließen uns. Die drei gingen so eng zusammen, daß sie mich an die Formation der »Gilas« erinnerten. Wieder nahm ich mir vor, am nächsten Morgen bestimmt nach Santa Fe hinunterzufahren. Ich wollte meinen Urlaub auf meine eigene Art verbringen und nicht in einem so abgeschiedenen Haus.
Dona Isabella sah ihren Enkeln nach. »Es sind gute Jungen«, sagte sie leise. »Sie verloren ihre Mutter, als sie noch klein waren, und ich zog sie groß. Als ihr Vater vor einigen Jahren starb, haben sie diesen rancho übernommen. Es ist einer der wenigen großen ranchos, die noch übriggeblieben sind. Die Hacienda geht noch auf ein Lehen König Philipps III. von Spanien zurück. Seit Jahrhunderten weiden hier riesige Schafherden. Eine Weile sind meine Enkel nicht sehr gut damit zurechtgekommen, aber im letzten Jahr hat sich der rancho weit besser entwickelt, als wir es zu erträumen gewagt hätten!«
Aufrecht und stolz stand Abuela da, als wäre jeden Augenblick König Philipp zu erwarten gewesen und nicht die »Gilas«. »Gehen wir in die Küche«, schlug ich
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