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Bottini, Oliver - Louise Boni 01

Titel: Bottini, Oliver - Louise Boni 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mord im Zeichen des Zen
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Hirn. Ein Sieb, in dem nur noch die größten Reiskörner hängen blieben.
    Sie schob die Angst beiseite. «Hoffnung gibt es immer.»
    Landen fragte nicht nach. Er schien verstanden zu haben, was sie hatte andeuten wollen: Dass Taro vielleicht schon nicht mehr lebte. Dass sie nicht darüber sprechen wollte.
    Sie sah ihn an. «Was tun Japaner, wenn jemand stirbt?»
    «Japaner oder Buddhisten?»
    «Buddhisten.»
    «Sie trauern.»
    «Und weiter?»
    «Das kommt darauf an.»
    «Worauf?»
    «Darauf, wie weit sie auf dem Weg des Buddha vorangeschritten sind. Je größer der Reifegrad in dieser Hinsicht, desto besser können sie den Tod als Teil des Lebens annehmen – als Teil des Kreislaufes der Wiedergeburten.»
    «Der Wieder … Na gut, lassen wir das.»
    «Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen.»
    «Nur, wenn sie ein Ende hat.»
    «Hat sie», sagte Richard Landen.
    Sie waren an der Hausecke angelangt und blieben wieder stehen. Ein weiterer Trittsteinpfad führte auf die Lichtung hinaus zu einem schlichten Unterstand aus Holz. Er erinnerte vage an ein selbstgezimmertes Straßenbahnhäuschen. Daneben befand sich ein ebenfalls hölzernes Gartentor. Fünfzig Meter weiter lag, inmitten von Bäumen, ein Schuppen mit tief herabge-zogenem Dach. Unmittelbar davor glaubte sie eine Art Brunnen zu erkennen.
    « Sukiya », sagte Richard Landen. «Das Teehaus.»
    Ein Trittsteinpfad, ein Brunnen, ein Holzhaus. Sie fragte sich, ob auch der Schuppen in Richard Landens verschneitem Garten eine Art Teehaus war. «Und die Geschichte?»

    «Auf seinen Reisen begegnete der Buddha einer Frau, deren Kind eben gestorben war. Verzweifelt flehte sie ihn an, es ins Leben zurückzuholen. Der Buddha sagte: Gut, ich helfe dir, aber unter einer Voraussetzung. Bring mir aus irgendeinem Haus hier in der Gegend, in dem noch niemand gestorben ist, ein paar Reiskörner. Die Frau lief von Tür zu Tür, doch sie traf nur Familien an, die schon einen Menschen durch den Tod verloren hatten. Sie begriff, dass der Tod unvermeidlich war und auch alle anderen Menschen davon betroffen waren. So lernte sie, den Tod ihres Kindes zu akzeptieren und es loszulassen.»
    Die Gongschläge waren verklungen. Noch immer standen sie an der Ecke des Hauptgebäudes und blickten auf das kleine Teehaus.
    «Nette Geschichte. Haben Sie Kinder?»
    Landen zögerte. «Nein», sagte er dann, «aber bald.»
    «Was heißt das? Dass Ihre Frau schwanger ist?»
    Er nickte.
    Wie aus dem Nichts tauchten jetzt zwischen den Erhebungen der Lichtung ein Dutzend Mönche und Nonnen auf. Sie trugen schwarze Kutten, die Köpfe waren kahlrasiert. Etwa die Hälfte stammte aus Asien.
    Schweigend verstreuten sie sich über die Lichtung. Sie sahen nicht herüber.
    Dann war der Gedanke, den sie nicht hatte greifen können, plötzlich da: Kinderschuhe. Am Abend von Nikschs Tod hatte sie im Waldboden Abdrücke von Kinderschuhen gefunden.
    Sie drehte sich um. Der Junge war fort.

    «Der Roshi», sagte Richard Landen und berührte ihren Arm mit einem Finger.
    «Was?»
    «Der Meister.»
    Ein älterer japanischer Mönch kam, die Hände vor dem Bauch übereinander gelegt, auf sie zu. Er war groß, sein Gang langsam, aber kraftvoll. Tiefe Falten durchzogen seine Wangen. Sie schienen mit einem harten Gegenstand in die Haut gekerbt worden zu sein und verliehen seinem Gesicht einen Furcht erre-gend strengen Ausdruck. Einen Augenblick lang rechnete sie damit, dass er sie vom Grundstück des Kanzan-an verjagen würde. Doch dann sagte er: «Hel-lo, me Bukan» , und nickte freundlich.
    Viel wichtiger aber war, dass Richard Landens Finger noch an ihrem Arm lag.
    Und wieder gab es Tee aus zierlichen Schälchen für Menschen mit reinem Gewissen. Diesmal war der Tee schwarz und erinnerte so immerhin entfernt daran, dass diese Welt auch düstere Abgründe kannte.
    Trotzdem konnte sie sich nicht überwinden, nach dem Schälchen zu greifen.
    Sie saßen in einem hohen Raum im Erdgeschoss des Hauptgebäudes auf Bastmatten und Stoffkissen.
    Obwohl sie die Mäntel anbehalten hatten, war es eiskalt. Louise wölbte die Hände um das Schälchen, oh-ne es zu berühren. « No heater », sagte der Roshi sanft in seinem eigentümlichen Englisch. « No heater China of Kanzan, no heater here. »

    Sie lächelte. «Roshi …‼, begann sie.
    «Warten Sie», sagte Richard Landen.
    Der Roshi trank einen Schluck. Dann sagte er:
    « Kanzan-an founded thirty years back .» Er hob die rechte Hand und wies über die Schulter hinter sich. «

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