Bottini, Oliver - Louise Boni 01
Orten wie diesem fand, dachte sie, verzichtete sie lieber darauf.
Der Novize öffnete eine Tür. Eine große Küche. In Wandhaltern flackerten Kerzen. Kein Herd, sondern ein nach allen Seiten hin offener Kamin in der Raum-mitte. Hier war es beinahe warm. In den einfachen, selbstgezimmerten Holzregalen herrschte, soweit sie erkennen konnte, vollendete Sauberkeit.
«Hier kochen wir», murmelte der Novize und tupf-te sich die Nase mit dem Kuttenärmel ab.
Richard Landen bat Louise zu übersetzen, er spreche kein Französisch. Sie musterte ihn. Er konnte Japanisch, Sanskrit und womöglich Tibetisch. Die Sprache des Landes, von dem ihn kaum dreißig Kilometer trennten, konnte er nicht. Sie unterdrückte eine Bemerkung. «Dies ist die Küche», sagte sie freundlich.
«Aha.»
«Warum haben Sie und der Roshi vorhin gelacht?»
Richard Landen lächelte und schwieg.
Sie gingen weiter. Ein Gemeinschaftsraum mit Bastmatten und Sitzkissen. Ein Büro mit Schreibtisch, Wählscheibentelefon und weißen Ordnern in einem hohen Regal. Ihr fiel ein, dass sie am Sonntag eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter des Kanzan-an hinterlassen hatte. Sie hatte um Rückruf gebeten.
Niemand hatte zurückgerufen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Niksch vermutlich schon nicht mehr gelebt.
Dann war Anne Wallmer in ihr Büro gekommen.
Dann hatte Hollerer angerufen, ohne etwas zu sagen, weil er nichts hatte sagen können.
«Fragen Sie nach dem Jungen», sagte Richard Landen.
«Später.»
«Das Besucher-WC», sagte der Novize und deutete im Vorbeigehen auf eine Tür.
Sie entschuldigte sich und betrat die Toilette.
Feuchte Kälte schlug ihr entgegen. Eine Öllampe sorgte für ein wenig Licht. Neben der Tür befand sich ein Waschbecken, das Klosett stand am Ende eines etwa fünf Meter langen Ganges in der Dunkelheit.
Vorsichtig tastete sie sich an der Wand entlang. Das Fenster über dem Klosett war gekippt. Sie bedeckte die Brille mit Klopapier, überwand die Scheu vor der Kälte und setzte sich. Ein kühler Luftzug erfasste ihren Kopf. Wenigstens kein Plumpsklo, dachte sie und urinierte lärmend.
Am Waschbecken ließ sie Gletscherwasser über ih-re Fingerspitzen laufen. Das Handtuch daneben war feucht und klamm. Zum Glück hatte sie Wärmendes dabei.
Während sie weitergingen, fragte sie den Novizen, woher das Geld komme, das für den Erhalt des Kanzan-an und das Leben hier notwendig sei. Der Novize zierte sich. Er sagte, er lebe noch nicht lange im Kloster. Manche Dinge wisse er nicht, vor allem wisse er nicht, welche Auskünfte er geben dürfe und welche nicht.
«Dürfen Sie sagen, wie Sie heißen?»
Er lachte. «Natürlich. Eigentlich heiße ich Georges Lazare, aber als Mönch werde ich Ikkyu heißen.»
«Und wie soll ich Sie anreden?»
«Mit Georges.»
«Weil Sie noch kein Mönch sind.»
«Ja, genau.»
«Was ist Ihre Meinung zu Polizistenmord, Georges? Als Mensch, als Novize, als künftiger Mönch?»
Georges schwieg.
«Gut», sagte sie befriedigt.
Die Mönche und Nonnen verkauften auf den Märkten in der Umgebung selbst gezogenes Obst und Gemüse und kleine, selbst hergestellte Gegenstände.
Außerdem erhielt das Kloster Spenden. Manchmal kamen Gäste, die ein paar Tage, eine Woche, einen Monat im Kanzanan verbrachten. Sie zahlten, was sie zahlen wollten. Das mittlere Geschoss war solchen Besuchern vorbehalten, darüber lagen die Zellen der Mönche. Die Nonnen lebten im Erdgeschoss.
Sie übersetzte für Richard Landen. In seinem Blick lag Ungeduld. Warnend hob sie einen Zeigefinger.
«Und Roshi Bukan?», fragte sie Georges. «Wo lebt der?»
«Dort, wo er sich aufhält.»
«Wo hält er sich nachts auf?»
«In einer Höhle im Wald.»
«Wie Kanzan?»
Georges’ Nicken war im diffusen Licht der Öllampe nur zu erahnen. Kanzan cave, Bukan cave , sagte der Roshi in ihrem Kopf.
Sie stiegen eine breite Holztreppe hinauf. Im ersten Stock führte ein Gang an der Fensterfront entlang.
Seine Form folgte der leichten Krümmung der Fassa-de. Er schien vollkommen leer zu sein. Holztüren führten zu den Gästeräumen. Zwischen den Fenstern waren Halterungen mit Kerzen befestigt. Georges entzündete die erste und wollte in den zweiten Stock weitergehen.
Sie deutete auf eine der Türen. «Darf ich?»
Georges nickte unentschlossen und reichte ihr die Lampe. Sie zögerte einen Moment. Dann öffnete sie die Tür. Kein Gästezimmer, sondern eher eine Ge-fängniszelle: ein kleines, steinernes Rechteck mit Matratze, Decke, Kerzenhalter,
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