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Bottini, Oliver - Louise Boni 01

Titel: Bottini, Oliver - Louise Boni 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mord im Zeichen des Zen
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Rücken.
    «Ja, wirklich», sagte Justin.
    An dem Garderobenständer hinter ihm hing das Pistolenhalfter mit seiner Waffe. Auf seinem Schreibtisch stand dasselbe Foto wie vor einem Jahr. Es zeigte ihn mit seiner Exfrau und den beiden Söhnen. Auf ihren Haaren lagen Lichtspitzen. Der Hintergrund war hellblau. Sie lächelten, wie man in Fotostudios lächelte.

    «Danke», erwiderte sie ebenfalls auf Französisch.
    «Und wie geht’s dir?»
    «Gut.»
    «Schön. Ich muss mit dir reden, Justin.»
    Er schüttelte bestürzt den Kopf. «Leider habe ich wenig Zeit.» Er breitete die Arme aus, umfasste mit dieser Geste sämtliche Unterlagen, Aktenordner, Notizzettel, Computer, Telefone im Raum. Seine Miene legte den Gedanken nahe, dass sich das versammelte Unerledigte im nächsten Augenblick auf ihn stürzen würde.
    Sie wartete. Nichts geschah. «Gehen wir ein paar Schritte.»
    «Aber ich kann nicht. Ich habe einen Termin bei Hugo, und in einer halben Stunde muss ich in …‼ Er brach ab. Seine Stirn war gerunzelt, er sah sie nicht an.
    Plötzlich begriff sie. Etwas hatte sich doch geändert im Vergleich zum letzten Jahr. Justin stand jetzt auf der anderen Seite. «Was haben sie dir über mich er-zählt?»
    Er schaute auf. «Wer?»
    «Na, Anne Wallmer, Schneider, Bermann.»
    «Wir haben nicht über dich gesprochen.»
    «Und worüber habt ihr gesprochen?»
    «Ich muss jetzt gehen, Louise. Hugo …‼ Wieder ließ er den Satz unvollendet.
    Sie folgte ihm zur Tür. «Natürlich habt ihr über mich gesprochen. Bermann hat dir erzählt, dass ich …
    dass …‼
    Sie blieben gleichzeitig stehen und sahen sich an.

    Justins Mundwinkel bewegten sich wie in Zeitlupe nach unten. Die Anspannung wich aus seinen Ge-sichtsmuskeln. Er blinzelte sehr langsam, als fürchtete er, dass jede rasche Bewegung Louise veranlassen könnte weiterzusprechen.
    «Warum fragst du mich, wenn du es weißt», sagte er.
    Er kehrte zum Schreibtisch zurück und setzte sich.
    Dabei glitt sein Blick über die Fotografie. Ein Ritual.
    Beim Hinsetzen ein Blick auf das Bild. Auch das war vor einem Jahr schon so gewesen. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie an.
    Sie deutete hinter sich auf die Tür. «Und Hugo?»
    Ihre Stimme klang höhnisch. Zu spät begriff sie, dass sie diese Frage nicht hätte stellen dürfen.
    Justin errötete leicht, schwieg aber.
    «Entschuldige», sagte sie. «Ich hatte gehofft …‼ Sie trat an den Schreibtisch, stützte sich darauf. Justin wich nicht zurück. Sie war ihm dankbar dafür, dass er sie nicht gezwungen hatte zu sagen: Bermann hat dir erzählt, dass ich trinke. Er hatte es nicht hören wollen, sie hatte es nicht sagen wollen: immerhin eine Ge-meinsamkeit.
    Sie senkte die Stimme. «Ich brauche eine Waffe.»
    Er schluckte. «Du bist in Frankreich!»
    «Justin, ich fahre ins Kloster, es muss dort Antworten geben. Bermann und die anderen … Sie haben dir von dem Mönch erzählt, der verschwunden ist?»
    Justin zögerte einen Moment, dann nickte er kaum merklich. Er war sehr blass geworden. Er legte die Hände auf den Tisch und verschränkte die Finger.
    «Sie glauben, dass er mit drinhängt. Aber er hängt nicht mit drin.»
    Justin sagte: «Du solltest jetzt gehen … ich bitte dich zu gehen.»
    Sie lächelte geduldig. Sie hatte gewusst, dass es schwierig werden würde. Justin hatte in Bezug auf Vorschriften eine andere Einstellung als sie. Aber er war vernünftig und einsichtig. Er wusste, was wichtig war und was nicht.
    Also versuchte sie, ihm die Situation begreiflich zu machen: Sie hatte keine Ahnung, was sie im Kanzanan erwartete. Ein Kollege war tot, ein anderer lag auf der Intensivstation. Sie war nicht allein, sie traf sich im Kloster mit einem Buddhismus-Experten. Sie trug die Verantwortung für ihn. Sie konnte da nicht ohne Waffe hinfahren.
    Justin schwieg. Sein ratloser Blick irrte über die Wand neben ihr zu dem Pistolenhalfter, dann zu dem Foto. Vor einem Jahr hatte er, eine zappelige Hand an ihrer Brust, gesagt: Wir sollten das nicht tun, wir sind Kollegen. Er hatte vor Erregung gekeucht und sich trotzdem überholten Bürokratenregeln unterworfen.
    Jetzt stand zum Lohn für das schlechte Gewissen keine erwartungsvolle Vagina in Aussicht.
    Sie ließ sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch sinken. Justin musterte sie, ratlos, sprachlos, willenlos.
    Sie sah ihm an, wie enttäuscht er von ihr und von sich selbst war. Von der Welt, die ihm Situationen wie diese zumutete und ihm nicht beigebracht hatte,

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