Bottini, Oliver - Louise Boni 01
Freiburg aushalte. Irgendwo müsse es einen ge-heimen Unterschlupf für versprengte Machos geben, damit er hin und wieder unter Gleichgesinnte komme. Ein Chauvi-Loch in einem feuchten Keller, wo fünf Bodybuilder mit Schnauzbart um ein Lagerfeuer säßen und sich im Flüsterton Blondinenwitze erzählten.
«Die Polizeidirektion?», sagte Louise. Barbara Franke grinste schief.
Sie hatten das Justizgebäude erreicht und blieben stehen. Erst jetzt bemerkte Louise, dass sie stark schwitzte und außer Atem war. Keuchend fragte sie:
«Kennen Sie Annegret Schelling? Gehört zu Asile.»
Barbara Franke schüttelte den Kopf und notierte sich den Namen. Sie versprach, sich zu informieren und Louise am Abend anzurufen. «Noch mal: Tut mir Leid wegen vorhin.» Sie reichten sich die Hände.
«Drücken Sie mir die Daumen für meinen Krieg.» Mit einem erregten Lächeln verschwand Barbara Franke im Justizgebäude.
Louise nickte ihr nach. Für einen Moment erwog sie, dem Rat zu folgen und das Auto stehen zu lassen.
Dann verwarf sie den Gedanken.
Auf dem Weg zum Adelhauser Neukloster stellte sie sich Barbara Franke in dem kleinen, kalten Häuschen in der Provence vor. Sie sah sie mit ihrer Mutter am Küchentisch sitzen. Begeistert hielten sie flam-mende Reden, Kriegerinnen unter sich.
Sie parkte in der Einfahrt vor dem Sushi-Imbiss.
Enni stand mit einer Zeitung in der offenen Tür. Als sie ausstieg, sah er auf. Er faltete die Zeitung zusammen und sagte: «Entschuldigung, Kommissar, vergessen.»
Sie winkte ab. «Ich hab eine Viertelstunde. Reicht dir das?»
«Wofür?»
«Um mir zu erklären, warum der Mittelpunkt des Weltalls in meinem Bauch ist.»
Enni lachte. «Kommt drauf an, Kommissar.»
«Hat es was mit Buddhismus zu tun? Mit Zen?»
Er nickte freundlich.
«Und? Weiter?»
«Zen ist Tun, Kommissar, nicht Reden, nicht Wissen, nicht Erklären, nicht Überlegen. Tun.» Lächelnd breitete er die Arme aus.
«Klugscheißer. Und was muss ich tun?»
«Erst mal atmen.»
«Atmen?»
Ein Nicken, ein breites Grinsen. Enni wandte sich um und rief etwas auf Japanisch. Aus der Küche antwortete eine Männerstimme. Er nahm eine türkisfar-bene Herbstjacke von einem der Garderobenhaken.
«Gehen wir in den Seepark. Waren Sie schon mal im Japanischen Garten, Kommissar?»
«Nein.» Sie rührte sich nicht.
«Haben Sie gewusst, dass Freiburg eine japanische Partnerstadt hat?»
«Nein. Enni, wir bleiben hier, ich hab keine Zeit für den Seepark.»
«Matsuyama. Liegt auf Shikoku, siebzig Kilometer südlich von Hiroshima.»
Sie setzten sich auf die Sitze einer Straßenbahnhal-testelle. Die Sonne schien, es war noch milder als am Vortag. Trotzdem fröstelte sie. Der Schweiß war getrocknet und kalt geworden und stank. «Und was hat das mit meinem Bauch zu tun?»
«Ich bin da geboren», sagte Enni, «in Matsuyama.
Ist das nicht toll? Ich leb in zwei Städten, die Partner sind.» In der einen geboren, in der anderen aufge-wachsen. Die eine seine Mutter, die andere sein Vater.
Matsuyama und Freiburg. Enni nickte zufrieden.
Zwei Städte, die mehr waren als zwei Städte: Sie waren eine Stadt. Ein Organismus. Die eine war auch die andere und umgekehrt. Durch ihn war Matsuyama Freiburg und Freiburg Matsuyama. «Sozusagen.»
Louise nickte mechanisch. Sie dachte daran, dass sie sich umziehen musste. Im Rucksack im Wagen lag ein frisches T-Shirt. Nach Schweiß stinkend würde sie Richard Landens Haus nicht betreten. «Enni, ich muss gleich los.»
«Na gut, Kommissar.» Enni sagte, auf Japanisch heiße die Körpermitte Hara. Dort sei der Sitz der Energie. Wenn man entsprechend geschult sei, könne man von dort Energie – Ki – in andere Körperregionen «schieben».
Sie gähnte. «Und warum sollte man so was tun?»
«Man bleibt gesund. Körperlich und geistig.»
«Endlich wird’s interessant. Wie lernt man das?»
«Durch Meditation.»
«Ich hätt’s mir denken können. Dass euch Asiaten nie was anderes einfällt als Meditation.»
Enni lachte. Sein Kopf befand sich plötzlich dicht neben ihrem. Er hatte schneeweiße, auffallend gerade Zähne. Sein Atem roch nach Fisch und Zigaretten-rauch. Er legte die linke Hand an ihre Schulter und sagte: «Konzentrieren Sie sich aufs Atmen, Kommissar. Einatmen durch die Nase, ausatmen durch den Mund. Aber erst müssen Sie sich richtig hinsetzen, sonst rutschen Sie von der Bank. Rücken gerade, kein Hohlkreuz.»
Sie gehorchte. Seine Hand lag an ihrem Rücken. Sie dachte an Anatol und dessen
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