Bottini, Oliver - Louise Boni 01
nur von Tommo keine Kinder? War Tommo als Software-Expertin für Ehe und Familie nicht geeignet?
«Worüber haben Sie und der Roshi im Kloster gelacht?»
Landen hob die zweifarbige Augenbraue und lä-
chelte überrascht. Sein Blick irrte über den Platz, wo Tommo gesessen hatte. Die drei Landens schienen miteinander zu ringen. Der zweite – der gefährliche –
gewann. «Ich habe zu ihm gesagt, dass Sie eine besondere Gabe besitzen: Aufrichtigkeit in Bezug auf das, was Sie fühlen. Allerdings, äh, spritzt diese Aufrichtigkeit manchmal aus Ihnen heraus wie … wie …
wie Wasser aus einem geplatzten Gartenschlauch.»
Sie schürzte die Lippen. Eine besondere Gabe . Bermann hatte diese besondere Gabe «nervtötende Unbeherrschtheit» genannt. Dafür würde Bermann nie-mals eine Frau zu sich nach Hause einladen, wenn er nicht allein war. Sie spürte, dass sie wieder zu schwitzen begann. «Warum haben Sie mich heute angerufen?»
Richard Landen lächelte etwas angestrengt. «Weil Sie gestern Abend …‼ Erneut senkte er den Blick auf das leere Tommo-Kissen. «Sie sahen nicht so aus, als ginge es Ihnen sehr gut.»
Tief in ihr erwachte die Wut. Bemitleidete er sie etwa nur? Aber sie spürte, dass er zu viel Respekt vor ihr hatte, um sie nur zu bemitleiden. «Sagen wir so: Nicht alle meine Kollegen teilen meine Meinung in Bezug auf das Kanzan-an. Na ja, eigentlich teilt sie niemand. »
Sie wartete, bis er sie wieder ansah. Er schien nicht zu bemerken, dass sie errötet war. «Außer Ihnen.»
Die Augenbrauen hoben sich. «Also glauben Sie dem Roshi.»
Zum Teufel mit dem Roshi. Sie nickte.
«Und Taro.»
Zum Teufel auch mit Taro. «Ja. Wenn man davon absieht, dass Taro nicht viel gesagt hat, was ich ihm glauben könnte. Ich meine, außer ‹ No› .»
Landen lachte nicht. «Er geht mir nicht mehr aus dem Kopf», sagte er. «Taro. Egal, was ich tu, ich seh ihn vor mir, und dann frag ich mich, wovor er Angst hatte, warum er nicht mit mir reden wollte, wie ich ihm hätte helfen können. Wo er ist. Zu denken, dass er …‼ Er brach ab. Sie schwiegen sekundenlang.
Dann räusperte Landen sich und fragte, warum sie die Reifenspuren ausgemessen habe. Während sie von den Eindrücken östlich von Liebau erzählte, kam ihr flüchtig der Gedanke, dass ihr Verhalten nicht besonders professionell war. Aber Landens Interesse und Aufmerksamkeit waren viel zu wohl tuend, als dass sie Lust gehabt hätte, sich professionell zu verhalten.
Erst als er wissen wollte, was sie aus all dem schließe, antwortete sie ausweichend. Obwohl sie Asile d’enfants und Pham nicht erwähnte, sagte er, er frage sich, wie es Pham mit seiner neuen Familie ergehen werde. Ob er vergessen könne, was er durchgemacht habe. Er lächelte traurig. «Heut Morgen hab ich angefangen, Vietnamesisch zu lernen.»
In diesem Moment betrat Tommo den Raum und sagte, das Essen sei fertig.
«Kommen Sie», sagte Richard Landen.
Sie standen auf. Als sie in den Flur hinausgingen, begriff Louise, dass sie in der Küche essen würden.
Sie legte die Hand an Landens Unterarm. «Ich kann nicht», sagte sie. «Ich kann nicht mit Ihnen essen.» Sie schlüpfte in ihre Schuhe, starrte dabei auf Freundschaft, Glück und Tod. Sie spürte, dass Landen sie ansah. Aber er sagte nichts. Ohne sich noch einmal zu ihm umzudrehen, verließ sie das Haus und zog die Tür zu.
Auf dem Weg zum Gartentor hatte sie den Eindruck, dass die Weide sich herabsenkte und mit ihren dürren, harten Ästen nach ihr griff. Sie musste sich zwingen, nicht zu laufen.
Um zwei erreichte sie Mulhouse. Sie parkte am Straßenrand und rief Lederle an. «Oh, Louise …‼, stöhnte er.
«Seid ihr noch im Kloster?»
«Sind gerade losgefahren.» Lederle war abgelenkt, er musste sich auf die Schotterstraße konzentrieren.
Muller, berichtete er, hatte kurz mit Annegret Schelling gesprochen. Die anderen Asile-Leute waren auf der Suche nach einer neuen Unterkunft für die Kinder. Heute Abend würde auch Annegret Schelling abreisen. Sie hatte ihnen die Adresse zweier Bauernhöfe in der Nähe gegeben, wo Betreuer und Kinder die Nacht verbringen konnten.
Louise fragte, welchen Eindruck Lederle von ihr habe. «Einen guten», erwiderte er. Sie sei kooperativ und verständnisvoll gewesen. Besorgt wegen der Kinder. Fassungslos wegen der Ereignisse. Sie kenne Taro vom Sehen. Sie könne sich nicht vorstellen, dass der Roshi etwas mit alldem zu tun habe.
Louise wurde unruhig. «Wie kommt sie auf den Roshi? Hat sie
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