Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
sagte Almenbroich wieder. Er sah noch grauer, kraftloser, kränker aus als am vergangenen Abend.
Plötzlich wurden ihr die Konsequenzen der Katastrophe bewusst. Almenbroich würde die Verantwortung übernehmen.
Sobald die Akte geschlossen war, würde er gehen, sich aus der Schusslinie nehmen lassen, was für Beamte des höheren Dienstes in aller Regel den Aufstieg ins Regierungspräsidium oder in die Landespolizeidirektion bedeutete. Falls er das nicht wollte, würde man ihn an irgendeine Schule versetzen, vielleicht die Polizei-Fachhochschule Villingen-Schwenningen, vielleicht die Außenstelle der Polizei-Akademie im fränkischen Wertheim, wo die wenigsten freiwillig hingingen.
Kein guter Moment, um ihn mit ihrem Misstrauen zu konfrontieren. Trotzdem. Sie trat dicht zu ihm. »Ich möchte wissen, was Sie mir verschweigen.«
»Wie bitte?«
»Ich muss es wissen. Ich kann nicht weitermachen mit dem Gefühl, dass Sie …«
Almenbroich straffte sich, nahm die Hand von der Klinke. Sie rechnete damit, dass er fiel, aber er fiel nicht. Mit einem Mal schien die Kraft zurückgekehrt zu sein. Vielleicht, dachte sie, gab es noch Hoffnung, in jeder Hinsicht.
Sie gingen Richtung Treppenhaus.
»Wenn diese Katastrophe vorbei ist, erzähle ich …«
»Nein, nein«, sagte sie. »Jetzt.«
Sie blieben stehen.
»Also gut.« Almenbroichs Stimme und sein Blick waren streng und entschlossen. So kannte, fürchtete, bewunderte sie ihn. So brauchte sie ihn. »Mir ist gleichgültig, was in Ihrer Akte steht. Sie hatten eine Krise, Sie haben sie überwunden. Sie haben gezeigt, dass Sie stark sind, stärker als die meisten von uns. Aber wenn ich irgendwann mal nicht mehr hier bin, zählt meine Ansicht nicht mehr. Dann sind Sie …«
»Ich glaube, ich will das nicht hören«, sagte sie erschrocken.
»… dann sind Sie das, was in Ihrer Akte steht. Eine schwierige, aufbrausende, intelligente, sehr anstrengende Kollegin mit einem Alkoholproblem. Eine Alkoholikerin. Und so wird man Sie dann inoffiziell auch behandeln, egal, ob Sie jemals wieder trinken werden oder nicht. Sie werden nicht mehr befördert, Sie werden niemals eine Soko leiten, Sie werden immer wieder, wie in der Sitzung vorgestern, mit Ihrer Geschichte konfrontiert werden«.
Almenbroich hielt inne, schöpfte Atem.
»Ich will das nicht hören, Herr Almenbroich«, sagte sie.
Er nickte. »Wenn ich irgendwann mal nicht mehr hier bin, kann ich Sie nicht mehr schützen, Louise. Dann sind Sie weitgehend auf sich allein gestellt. Daran habe ich in diesen Tagen gedacht. Das habe ich Ihnen, nun ja, verschwiegen.
Wollen Sie sich jetzt entschuldigen oder dann, wenn diese Katastrophe vorbei ist?«
Sie antwortete nicht.
Sie gingen zum Fahrstuhl. Almenbroich betätigte die Ruftaste.
»Sie haben wirklich geglaubt, dass ich Ihnen Informationen vorenthalte?«
»Ich …« Sie brach ab.
»Sie müssen sich nicht entschuldigen«, sagte er, plötzlich wieder grau, kraftlos, kränklich. »Wir waren alle … Diese furchtbare Hitze. Dieser furchtbare Fall.«
Die Türen glitten auf, sie betraten die Kabine. Almenbroich drückte auf »4«. Die Türen schlossen sich. Louise sagte: »Ich werde Ihnen jetzt heulend um den Hals fallen.«
Almenbroich nickte und drückte auf »Halt«.
Die Besprechung begann um drei Uhr fünfzehn und dauerte kaum zehn Minuten. Die meiste Zeit sprach Rolf Bermann.
Niemand stellte kritische Fragen zu den Ereignissen der vergangenen Stunden. Keine Vorwürfe, keine Diskussionen, kein Streit. Jetzt war nicht die Zeit, Dinge aufzuarbeiten. »Jetzt holen wir uns PADE«, sagte Bermann. Er hatte tiefe Augenringe, war verschwitzt, ungeduldig. Er schaute niemanden an, während er sprach.
Löbinger und ein paar seiner Leute waren da, Pauling war da, Vormweg und die beiden BKA-Kollegen waren da. Schneider, Anne Wallmer, Thomas Ilic waren da. Paulings Kommandoführer war nicht da. Sie stutzte, dann begriff sie.
Pauling würde nicht gehen.
Im Gegensatz zu Almenbroich. Im Fahrstuhl, zwischen dem dritten und dem vierten Stock, die Katastrophe vor Augen, sein heulendes Sorgenkind im Arm, hatte er bestätigt, was sie befürchtet hatte. Er würde natürlich gehen.
»Anselm und seine Leute holen Busche«, sagte Bermann,
»Anne und Heinz holen die Lehrerin aus Ehrenkirchen, Illi und Louise holen Mahr, ich fange mit der Vernehmung von Rashid, Marion Söllien und Bo an, das Ehepaar auf Mallorca übernehmen die spanischen Kollegen. Fragen?«
Vormweg hob die Hand. »Mahr ist der
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