Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
blickte. Sanft geschwungene Hügel, gelblich grüne Wiesen, Mischwald, Obstbäume, schmale Straßen, auf denen zwei Autos ohne langwierige Manöver nicht aneinander vorbeikamen.
Wanderwege, Bauernhäuser und Scheunen mit weit nach unten gezogenen, dunkelbraunen Dächern, die an der Frontseite weiter oben wie ein Haarpony gestutzt waren. Schwarzwaldidylle. An einer Kehre hielt Täschle in einer Schotterbucht, sie stiegen aus.
Er benannte die Orte unter ihnen – vorne Oberried, hinten Stegen, dazwischen Kirchzarten mit Riedingers Weide.
Und weit hinten am Horizont, dachte sie, der Flaunser.
»Glauben Sie, dass der Hannes Riedinger was mit den Waffen zu tun hat?«, fragte Täschle unvermittelt.
Sie zuckte die Achseln. »Irgendeine Verbindung muss es geben.«
Sie gingen den Hang hinauf. Täschle hatte Jacke und Kappe im Wagen gelassen, unter seinen Achselhöhlen wucherten riesige Schweißflecken. Louise dachte an Hollerer, den letzten Leiter eines Polizeipostens, den sie um Hilfe gebeten hatte.
Einen Tag später hatten sie ihn mit zwei Kugeln im Leib im Schnee gefunden. Von Almenbroich wusste sie, dass Hollerer nicht in den Dienst zurückgekehrt war. Er hatte Monate in der Reha verbracht, war dann zu seiner Schwester nach Konstanz gezogen.
»Was ist?«, fragte Täschle.
Sie wandte den Blick ab. »Nichts.«
Täschle war nicht Hollerer, Kirchzarten nicht Liebau.
Trotzdem nahm sie sich vor, auf ihn aufzupassen.
Sie folgten der Straße nach oben, bogen in einen breiten Wiesenweg ab. Der Weg führte an einem Zaun entlang auf ein einzelnes Haus zu und dann weiter in den Wald auf dem Hügelgrat hinein. Da Täschle keine Anstalten machte, zum Wagen zurückzukehren, blieb Louise stehen. Auch Täschle hielt inne. Er wandte sich zu ihr um und musterte sie.
»Warum bin ich hier?«, fragte sie.
Täschle warf einen kurzen Blick auf das Haus über ihnen.
»Wir haben eine Zeugin, die was gesehen haben könnte. Aber sie ist keine gute Zeugin. Sie …«
»Ist sie Alkoholikerin?«
Täschle wehrte ab. Zu schnell, zu heftig, fand Louise. »Nein, sie ist einfach nur … eigen.«
»Eigen.« Sie nickte.
Täschle nickte ebenfalls. Er strich sich Schweiß von den Augenlidern. »Sie sieht mehr als wir. Dinge, die’s nicht gibt.«
»Und manchmal vielleicht doch?«
»Ja, vielleicht. Verurteilen Sie sie bitte nicht.«
»Ich kenne solche Leute.«
Täschle lächelte düster. »Solche nicht.«
Das Haus hatte kein Pony-Dach, die Fenster waren mit grüner Farbe umrandet. In die Mitte der Frontseite war ein Relief aus grauem Stein eingelassen, die Madonna mit dem Kind. Auf einem Briefkasten am Zaun stand LISBETH WALTER. Eine Klingel gab es nicht, Täschle klopfte. Louise rechnete mit einer alten Frau, doch Lisbeth Walter war höchstens Mitte Fünfzig.
Sie sah nicht »eigen« aus, sprach nicht »eigen«, benahm sich auf den ersten Blick »normal«. Louise fand sie schön, aber Schönheit war relativ. Lisbeth Walter wirkte selbstbewusst und zufrieden, das machte sie anziehend. Sie war groß, trug das graugelockte Haar nach hinten gebunden, einfache dunkle Kleidung, ein paar silberne, keltisch wirkende Ringe an den Fingern – das Auffälligste an ihr. Sie führte sie in ein sehr großes, sehr sonniges Wohnzimmer mit Fenstern an drei Seiten.
Zahllose Bücher, überall Pflanzen, ein Regal mit hunderten CDs, vor einem der Fenster ein schwarzer Flügel. Auf einem Couchtisch stand Kaffeegeschirr für drei, auf einem Stövchen eine Kanne. Täschle hatte sie angemeldet.
»Setzt euch«, sagte Lisbeth Walter.
Louise nahm auf einem Sessel Platz. Sie sah keine Alkoholika, sie sah keine Alkoholikerin. Der Kaffee schmeckte, wie Täschles Kaffee geschmeckt hatte, auch hier gab es Milch und Zucker, allerdings leider keine Kekse. Sie begann, sich zu entspannen. Was mit ihr geschah, wie sie mit ihren Dämonen umging, dachte sie, hatte ohnehin nichts mit Lisbeth Walter zu tun, sondern einzig und allein mit ihr selbst.
»Erzähl’s ihr bitte, Lissi«, sagte Täschle nach einer Weile.
Lisbeth Walter wandte sich zu Louise. »Er hält es für wichtig, ich nicht – aber gut. Ich habe neulich nachts im Wald fünf, sechs Männer gesehen. Das ist schon alles.«
»Haben Sie mit ihnen gesprochen?«
»Nein. Sie sind zwanzig, dreißig Meter an mir vorbeigegangen. In der Dunkelheit hätte ich sie fast nicht gesehen.«
»Und nicht gehört«, warf Täschle ein.
»Ja, auch nicht gehört. Sie haben nicht geredet und kaum Geräusche verursacht.«
»Das
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