Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
existierenden Brand zu löschen. Löbingers Leute beklagten die fast hermetischen Strukturen der organisierten Kriminalität. Aber Freiburg war Freiburg, in Lahr weiter nördlich sah es dramatischer aus. Dort waren fast dreißig Prozent der Einwohner Russlanddeutsche.
Daran dachte sie, als sie auf den Eingang des Hochhauses zuging. Ein kantiges, wuchtiges Gebäude, schmale horizontale Fensterschlitze, Graffiti auf dem Sichtbeton. Wurde das Leben schwierig, wenn man hier gelandet war, oder landete man hier, weil es schon schwierig war?
Doch oben und an den Seiten des Hauses schimmerten Aureolen aus dunkelrotem Sonnenlicht.
Sie klingelte, Günter öffnete sofort. Während sie auf den Aufzug wartete, überlegte sie, wie sie ihm am besten sagte, was sie von ihm wollte. Und vor allem: Wann sie es ihm sagte.
Das Licht erlosch, die Lifttür glitt auf. Sie starrte auf ihr Spiegelbild, das ihr von der Rückwand der erleuchteten Kabine entgegenstarrte. Louise Bonì, in zwei Wochen dreiundvierzig, wallendes dunkles Haar, Jeans, enges, bauchfreies T-Shirt mit der Aufschrift You can leave your hat on.
Das T-Shirt, fand sie, hätte sie sich sparen können.
Und doch: gar nicht so schlecht, das Spiegelbild.
Sie betrat den Aufzug. Die Fahrt war viel zu kurz.
Dann stand sie im zehnten Stock zwischen zwei langen, schmalen Fluren. In beiden herrschte Dunkelheit. Rechts oder links? Sie hatte sich eben für links entschieden, als sich am Ende des rechten Ganges eine Tür öffnete.
Günters Wohnung bestand aus einem mittelgroßen Zimmer, einem kleinen Flur mit Kochnische, einem winzigen, blau gestrichenen Bad. Die Zimmerwände waren kahl, die Möbel dunkelbraun oder schwarz. Ein Fernseher, eine Stereoanlage, keine Bücher, eine kleine Yucca-Palme mit gelblichen Blättern.
Die Besichtigung fiel kurz aus. Vom Fenster aus blickte man Richtung Bahnhof, Münster, Schlossberg. In der Ferne war das in der Abenddämmerung verschwindende Dreisamtal mit seinen Erhebungen zu sehen. Oberried und die Anhöhe hinter Lisbeth Walters Haus lagen jenseits der Schauinsland-Ausläufer verborgen. Sie dachte an Riedinger, sah ihn vor sich, reglos und die Augen geschlossen, als hoffte er, dass sie weiterfuhr, allem ein Ende bereitete.
Dann dachte sie an den vermummten Mann. Hatte sie ihn sich eingebildet? Sich das T-Shirt selbst ausgezogen, es selbst um die Wunde gewickelt? Nein. Er existierte. Er war da gewesen. Doch wer war er? Warum hatte er ihr geholfen und war dann verschwunden?
Sie wandte sich vom Fenster ab. Günters Blick lag auf dem Verband um ihren linken Oberarm. Er hatte sich entschuldigt, sie hatte die Entschuldigung angenommen.
»Ich bin nicht gut in Diplomatie, willst du trotzdem hören, was ich dir gern sagen würde?«
Von den Gewissheiten zu den Ungewissheiten, von den Fragen zu möglichen Antworten.
Günter nickte wachsam.
Sie drehte sich wieder zum Fenster, verschränkte die Arme vor der Brust. Schemenhaft erkannte sie in der Scheibe ihr Spiegelbild. »Ich glaube …«, begann sie, doch da sagte Günter, es sei ihm lieber, wenn er erzähle, und sie nickte und sagte erleichtert: »Okay.«
Die Übelkeit kam seit zwei Jahren, seit ein paar Monaten wurde sie schlimmer. Manchmal kam sie beim Einkaufen, dann musste er alles stehen und liegen lassen. Manchmal kam sie bei Besprechungen in der PD, bei Ermittlungen, bei Gesprächen mit Zeugen, dann hielt er mühsam durch oder suchte die nächste Toilette auf. Er war bei einem Dutzend Ärzten gewesen, Internisten, Onkologen, Chirurgen, hatte Magenspiegelungen, Darmspiegelungen und dergleichen mehr machen lassen. Doch kein Arzt hatte das Geschwür gefunden, oder was auch immer in seinem Magen oder Darm saß – oder wo auch immer es saß.
Morgen hatte er wieder einen Termin, bei einer Spezialistin in Karlsruhe. Vielleicht fand die es. Falls nicht, hatte man ihm einen Onkologen in München empfohlen. Aber er hoffte auf die Spezialistin in Karlsruhe. Dreißig Jahre Berufserfahrung, Chefärztin, die musste es doch finden. Eigentlich, sagte er, war er froh, dass Löbinger ihn rauswerfen lassen wollte. Denn mit der Übelkeit kamen jetzt immer öfter Atemprobleme. Das Geschwür drückte, so erklärte er es sich, Magensäure in die Speiseröhre, und das beeinträchtigte die Lungenfunktion, deswegen konnte er manchmal schlecht atmen. Auch das Autofahren fiel ihm zunehmend schwerer. Im Sitzen wurde das Geschwür gequetscht.
»Und wenn es was ganz anderes ist?«, fragte Louise.
»Was ganz
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