Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
anderes?«
Sie sah das Spiegelbild leicht nicken. Sie kannte Geschichten wie die von Günter aus Oberberg. Übelkeit, Atemnot, man hyperventilierte, man bekam Panik. Sie fragte, ob er manchmal Panik bekomme, aber Günter sagte, nein, nein, keine Panik. Nur Übelkeit, und dass er manchmal nicht richtig atmen könne.
Verärgert fügte er hinzu, er wisse, worauf sie hinauswolle: Nein, er sei kein Psycho.
Ein Geschwür, Luis.
Das Spiegelbild nickte erneut. Keine Freundschaften unter Kollegen. Dafür, fand sie, hatte er ihr viel erzählt.
»Aber deswegen bist du nicht hier.«
»Nicht nur.« Sie wandte sich um. »Ich brauche deine Waffe.«
Günter war nicht Justin Muller, sie waren nicht in Frankreich, sie galt nicht mehr als krank, das waren die Unterschiede zu damals, dachte sie, während sie wieder nach Kirchzarten fuhr.
Wer seine Waffe verlor oder dem ED zur Verfügung hatte stellen müssen, lieh sich die Waffe eines Kollegen, der nicht im Dienst war. So war es üblich, und inzwischen konnte offenbar auch sie in Anspruch nehmen, was üblich war. Sie war Bermanns Vertraute geworden, eine Kollegin wie jede andere, das machte den Dienst erheblich einfacher. Trotzdem fühlte sie sich nicht weniger allein und außen vor als im Februar.
Vielleicht lag es daran, dass sie ohne Kollegen oder Kollegin zu einem Zeugen unterwegs war – zumal zu einem, der den Hund auf sie gehetzt hatte –, und das nicht tagsüber, sondern abends um neun.
Oder es lag an René Calambert, der sich ohne Schnee nicht an sie heranwagte, aber als unsichtbarer Schatten in ihr hauste.
Auch bei Calambert führte die Frage nach dem Warum zu einer Antwort und die Antwort zu weiteren Fragen und Antworten.
Warum ging er ihr nicht aus dem Kopf?
Sie hatte ihn erschossen.
Und das erklärte, dass sie vor drei Jahren angefangen hatte zu trinken und noch immer an ihn dachte?
Ja. Klar.
Sie schaltete das Radio ein, erwischte die Wettervorhersage.
Noch immer fast dreißig Grad, für die Nacht wurde zum ersten Mal seit Wochen leichter Regen angekündigt. Sie wechselte die Sender, bis ihr Kopf im Hämmern von Bass- und Gitarrenriffs vibrierte.
Einer der Psychotherapeuten in Oberberg war nahe daran gewesen weiterzufragen. In Bezug auf Calambert die richtige Frage zu stellen. Weshalb er es schließlich nicht getan hatte, wusste sie nicht. Sie hatte darauf gewartet. Sie hätte die Frage beantwortet – sich selbst und ihm.
Die Frage nach dem Warum.
Das Licht im Dreisamtal war grau geworden, die Schatten hatten die Häuser erfasst. Sie hielt auf der Schotterstraße, die zu Riedingers Hof führte. Fünfzig Meter vor ihr schimmerte ein dunkelgelbes Lichtrechteck im Grau. Riedinger war der Schlüssel, aber war es klug, erneut allein zu ihm zu fahren?
Nein. Weder klug noch professionell – und das gleich aus mehreren Gründen. Einer davon war, dass sie nun bewaffnet war und noch immer vor Empörung glühte. Die Alternative wäre, Anne Wallmer, Täschle oder Bermann zu bitten, mit ihr zu kommen.
Oder daheim auf Anatol zu warten.
Kollegen bitten, auf einen Mann warten – nicht gerade ihre Stärke.
Sie fuhr weiter. Ihr erster Blick galt dem Stall. Das Tor war geschlossen, Riedinger und der Hund nicht zu sehen. Trotzdem legte sie Günters Heckler & Koch auf den Beifahrersitz.
Die Tür zum Wohnhaus stand immer noch offen, auf den Vorplatz fiel ein Streifen Licht. Sie ließ den Wagen ins Licht rollen, hielt an, warf einen Blick ins Innere des Hauses.
Ein Gang, eine geöffnete Zimmertür, ein Tisch. An dem Tisch saß Heinrich Täschle. Er war in Zivil, hatte eine Flasche und ein Bierglas vor sich stehen.
Ein Kollege, den man nicht bitten musste, der von allein kam.
Ein schwüler Sommerabend auf dem Land, zwei Männer, die ein kühles Bier miteinander tranken, in aller Ruhe besprachen, was besprochen werden musste.
Sie würde nur stören.
Täschle sah in ihre Richtung, ließ sich aber nicht anmerken, ob er sie erkannt hatte. Sie griff zum Telefon und wählte die Nummer seines Diensthandys. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, zog er das Telefon aus der Hemdtasche. »Wird noch eine Weile dauern, Schatz«, sagte er. »Is’ grad so gemütlich.«
Sie musste lachen. »Oh, wie schade, Liebling. Möchtest du später noch was essen?«
»Ähm, nein, vielen Dank.«
»Vielleicht ein schönes Schnitzelchen?«
»Nein, Schatz. Lieb von dir.« Täschles Stimme war sanft und melodisch. Das Distanzierte war fort.
»Rufst du mich an, wenn du fertig bist?«
»Aber
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