Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
betreten. In der Küche saßen die Porzellankatze und Niksch. Das Wohnzimmer ginge, im Wohnzimmer saß Tommo, das war nicht so schlimm.
Sie fröstelte.
Klingelte.
Niemand öffnete.
Auf einen Mann zu warten kam nicht in Frage, also ging sie spazieren, die frische Günterstaler Morgenluft tat sicher gut nach einer fast schlaflosen Nacht. Sie atmete in den Bauch, wie sie es von Enni und später, im Kanzan-an, von Roshi Bukan gelernt hatte, sog die frische Günterstaler Morgenluft tief in sich, um die Sehnsucht und die Fragen zu vertreiben. Die Sehnsucht blieb, die Fragen kehrten zurück. Wo war er? In Japan bei Tommo? Beim Joggen nach Ebnet, oder wo Freiburger Jogger sonst hinliefen? Zwei Kinder kamen ihr entgegen, dann eine Frau mit einem Hund, alle grüßten, und sie grüßte zurück. An einer Kreuzung blieb sie stehen, wandte sich fluchend um. Sie hatte genug von der Günterstaler Morgenluft, vom Nicht-Warten auf einen Mann.
Als sie das Auto erreichte, rief Barbara Franke an. Sie war auf dem Weg zum Amtsgericht, im Hintergrund hörte Louise eine Straßenbahn, Baulärm, Stimmen von Jugendlichen. »Sitzen Sie?«, rief Barbara Franke.
»Gleich«, sagte Louise und stieg ein. Fast im selben Moment verstummte der Lärm im Hintergrund, Barbara Franke hatte ein Gebäude betreten. Für den Bruchteil einer Sekunde war die Verbindung gestört. Louise öffnete das Seitenfenster, ließ den Blick über das Haus, den Garten, die Weide gleiten.
Wiederkommen oder Abschied nehmen?
»Louise?«
»Schießen Sie los.«
»Schießen ist gut«, sagte Barbara Franke. Uhlich & Partner waren zwar als Anwälte zugelassen, jedoch fast ausschließlich als Lobbyisten tätig. Ihre Mandanten: in- und ausländische Rüstungsfirmen.
»Sieh an«, sagte Louise. »Welche?«
»Keine Ahnung.«
»Kriegen Sie’s für mich raus.«
Barbara Franke stöhnte. »Na gut, ich kümmer mich drum.
Mist. «Sie schwiegen kurz, lachten dann. Ein Déjà-entendu.
Barbara Franke fuhr fort. Uhlich & Partner waren Dr. Horst Uhlich und Dr. Christian von Leh, früher auch Dr. Ernst Martin Söllien, doch der war vor eineinhalb Jahren gestorben. Die Kanzlei hatte ihren Hauptsitz in München und Dependancen in Berlin, Stuttgart, Freiburg und Passau.
»Abgesehen von Stuttgart also grenznah, warum auch immer«, sagte Louise.
»Richtig«, sagte Barbara Franke. Sie fragte nach dem Zusammenhang. Das Waffendepot in Kirchzarten? Louise bejahte, erzählte, was sie erzählen konnte. Manches wusste Barbara Franke aus den Medien. Der Boulevard habe sich, sagte sie, auf den Bauern und die Kroaten eingeschossen, sie selbst, offen gestanden, auch – ein prügelnder Bauer, rechtsnationalistische Kroaten, das passe wunderbar in ihr Weltbild. Sie lachte. Und die Kripo?
»Ermittelt in verschiedene Richtungen.«
»Egal, welche Richtung es am Ende ist, die Alternativen scheinen ziemlich hässlich zu sein.«
Louise wandte den Kopf, betrachtete Haus, Garten, die grüne Weide. Das Landen’sche Idyll, die frische Günterstaler Morgenluft, ein südbadischer Sommertag – und ein Waffendepot, der Jugoslawienkrieg, Rüstungsfirmen. »Schwer vorstellbar«, sagte sie.
»Nur, wenn man blind ist.«
»Der Jugoslawienkrieg, Rüstungsfirmen, ich bitte Sie.«
Barbara Frankes Stimme wurde lauter, sie sprach schneller, ihre Schritte klangen nach Treppe. »Wir sind weltweit der viertgrößte Exporteur von Kriegswaffen, Louise, wir haben in den Neunzigern jährlich Waffen im Wert von einer bis drei Milliarden D-Mark exportiert. Also, was soll das heißen, ›ich bitte Sie‹?«
Louise schmunzelte. Da war sie wieder, die Kriegerin, mit der sie sich im Winter so wohl gefühlt hatte. Sie spürte, wie Barbara Frankes Kampfgeist auch ihre Kraft zu neuem Leben erweckte.
Was tat sie hier, in Günterstal? Außer nicht zu warten, das Selbstmitleid zu pflegen? Sie ließ den Motor an. »Wer ist ›wir‹?
Wir Freiburger?«
»Wir Deutschen. Wir Freiburger leben nicht auf der Insel der Seligen.«
»Die Günterstaler Freiburger schon.«
»Nicht mal die. In Günterstal lebt Filbinger.«
»Bleiben wir in der Gegenwart.«
»Mal sehen, was haben wir in der Nähe … In Oberndorf sitzen Ihre Freunde von Heckler & Koch. H&K-Gewehre aus Lizenzproduktion waren, wie man hört, im Jugoslawienkrieg auf allen Seiten sehr beliebt – da haben Sie Ihren Jugoslawienkrieg.
Soll ich weitermachen?«
Louise lächelte, fuhr los. »Ja, machen Sie ein bisschen weiter.«
»In Rottweil letztes Jahr die Waffenfreaks.
Weitere Kostenlose Bücher