Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
die arbeiten. Was genau würden Sie dann tun?«
»Wir würden versuchen, für das, was ZCZ herstellt, in Deutschland und anderen europäischen Ländern Interessenten oder Partner zu finden. Wir würden Lobbyarbeit für das Unternehmen betreiben. Mit Politikern sprechen, in Fachpublikationen Anzeigen schalten, auf Messen Kontakte vermitteln und so weiter …«
»Was für Interessenten? Was für Kontakte?«
»Regierungen, Militärs, Polizeibehörden.«
»Neonazis, Terroristen, Guerillagruppen?«
»Natürlich nicht! «Annelie Weininger war blass geworden. Sie trank einen Schluck Wasser, hielt das Glas dann im Schoss umklammert. Louise glaubte ihr. Falls Ernst Martin Söllien oder Uhlich & Partner in illegale Waffengeschäfte verwickelt waren, hatte Annelie Weininger davon keine Ahnung.
Ihr Blick glitt über die Poster mit den Kindern an der Wand gegenüber, die Städte im Sonnenlicht links von ihr. Unsichtbare Panzer, Bomber, Waffen garantierten ihren Schutz. Sie wünschte, Barbara Franke wäre hier gewesen und hätte die Marketingfassade mit ihrem Kampfgeist eingerissen. Sie selbst war wohl nicht der geeignete Mensch für Vorträge über Moral.
Sie hatte zwei Menschen getötet, in ihrer Tasche lag Günters H&K.
»Wollen wir jetzt über Ihren Liebeskummer sprechen?«, fragte Annelie Weininger leise.
»Gern«, sagte Louise.
Wenig später ging sie. Obwohl in diesen Minuten die Soko-Besprechung begann, entschloss sie sich, Ernst Martin Sölliens Witwe sofort aufzusuchen. Sie rief Anne Wallmer an, die wie erwartet reagierte: Fahr nicht allein dahin, du bist so leichtsinnig, Rolf wird sauer sein, außerdem ist die Besprechung Pflicht. Sie hatte in allen Punkten Recht. »Wartet nicht auf mich«, sagte Louise.
Dann fuhr sie los. Zum ersten Mal seit gestern Abend dachte sie an Anatol. Fragte sich, warum sie traurig gewesen war, aber nicht hatte kämpfen wollen. Warum sie immer noch traurig war und zugleich fand, dass es so besser war.
Warum sie ihn trotzdem plötzlich vermisste.
Marion Söllien wohnte nicht weit von Herdern, in Zähringen.
Nach dem Tod ihres Mannes hatte sich, Annelie Weininger zufolge, vieles verändert. Als Witwe hatte Marion Söllien begonnen, ihrem Mann zu verzeihen. Sie hatte begonnen, ihn wieder zu lieben. Und war in die einstmals gemeinsame Wohnung zurückgekehrt. Manchmal kam sie in die Kanzlei, sprach mit Annelie Weininger über ihn. Lernte den Toten mit all seinen Widersprüchen ein bisschen besser kennen.
»Sie ist eine einfache Frau, die mit ihrem Schicksal nicht umgehen kann«, hatte Annelie Weininger gesagt. »Seien Sie nett zu ihr.«
Louise nahm sich vor, nett zu sein. Sie klingelte.
Zum zweiten Mal an diesem Morgen blieb eine Tür vor ihr verschlossen.
Die Nachbarin in der Wohnung rechts sagte, Marion Söllien müsse eigentlich noch zu Hause sein, sie gehe immer erst gegen elf zur Arbeit, Genaueres wisse sie nicht, sie habe ferngesehen.
Der Nachbar in der Wohnung links sagte, Marion Söllien sei zu Hause, er habe mitbekommen, dass vor einer knappen Stunde ein Mann geklingelt habe und eingelassen worden sei. Er habe zufällig an der Tür gestanden und durch den Spion geschaut und den Mann gesehen.
Was für einen Mann?
Na ja, einen Mann eben.
Groß, klein? Schmal, breit?
Groß, breit.
Blond?
Dunkel.
Deutscher?
Eher ja als nein. Vielleicht auch nicht. Also, eher nein. Er hatte den Mann nur für ein, zwei Sekunden gesehen.
Louise klopfte, läutete, wieder wurde nicht geöffnet. Sie suchte den Hausmeister auf, bat ihn, ihr Marion Sölliens Stellplatz in der Tiefgarage zu zeigen. Das Auto, ein Toyota Corolla, war da. »Und was bedeutet das?«, fragte der Hausmeister, ein kleiner, kräftiger, alter Mann.
Sie zuckte die Achseln. Sie hatte keine Ahnung.
Aber sie war unruhig geworden.
Ernst Martin Söllien hatte Hannes Riedinger die Weide abkaufen wollen. Weshalb? Was wollte ein Rechtsanwalt mit einer Kuhweide, wenn er keine Kühe hatte? Falls er von dem Schutzkeller erfahren und ein Versteck für die Waffen gesucht hatte: Hatte seine Frau das gewusst?
Sie kehrten zur Wohnung des Hausmeisters zurück.
»Und was jetzt?«
»Denk ich noch mal von vorn nach.«
Doch wie sie es auch drehte und wendete: Falls Marion Söllien Bescheid gewusst hatte, stellte sie für die Hintermänner eine Gefahr dar. Hatten sie die Kanzlei beobachtet, um herauszufinden, ob die Kripo den Sölliens auf die Spur gekommen war? War der Mann, der Marion Sölliens Wohnung betreten hatte, nach
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