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Bottini, Oliver - Louise Bonì 02

Titel: Bottini, Oliver - Louise Bonì 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Im Sommer der Mörder
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der Kripo Offenburg an und informierte sie. Nein, Unterstützung war nicht notwendig, keine Vernehmung geplant, lediglich ein informelles Gespräch mit einer Sekretärin des Vereins oder wem auch immer. »Noch Kaffee?«, flüsterte Louise mit klappernden Zähnen. Er nickte.
    Sie stand auf, holte Kaffee, ging zur Theke zurück und holte Zucker, ging zur Theke zurück und holte Milch. Als sie sich wieder setzte, war ihr nicht mehr ganz so kalt. Sie legte die Hände um die Tasse. Die Wärme kam bis zu den Handgelenken, dort ging sie in der Kälte verloren.
    Thomas Ilic steckte das Telefon ein. »Was ist mit dir?«
    Sie zuckte die Achseln, blinzelte die Tränen weg, die plötzlich in ihre Augen getreten waren. »Kann ich dein Sakko haben?«
    »Ist dir kalt?«
    »Scheißkalt.«
    »Die haben Sweatshirts hier.«
    »Die haben hier Sweatshirts?«
    Er nickte in Richtung Verkaufsraum. Sie stand auf, fand die Sweatshirts, FC-Bayern-Sweatshirts, sie nahm einmal Small, einmal Medium, dazu einen FC-Bayern-Schal, dann ließ sie die Hände über den Mon Chéris schweben, dachte, wie furchtbar lächerlich, andererseits schwebten ihre Hände nicht über den Spirituosen, und vielleicht war das ja ein Signal dafür, dass das Allerschlimmste überwunden war.
    Als sie sich umdrehte, glitt ihr Blick über die Reflektion eines Gesichtes in der Fensterscheibe, Augen, die in ihre Richtung zu sehen schienen. Einen Moment später war das Gesicht fort. Sie wandte den Kopf. Fünfzehn, zwanzig Kunden im Kassenraum zwischen den Regalen, vor den Getränkekühlungen, an den beiden Kassen.
    Thomas Ilic, der aus dem Restaurant herübersah.
    Sie ging zu ihm. Ein Gesicht von vielen, ein flüchtiger, absichtsloser Blick, Bewegungen hinter einer Fensterscheibe, das ganz normale Kommen und Gehen …
    Doch sie nahm sich vor, ihren Instinkten zu vertrauen. Das Gesicht war ihr aufgefallen. Nur das zählte.
    Sie warf die Sweatshirts auf den Tisch, riss die Verpackung auf, zog Small an und Medium darüber.
    Warum fror sie so erbärmlich? Was geschah mit ihr?
    In Oberberg hatte sie in einem Büchlein der Anonymen Alkoholiker gelesen, was das nächste Glas, das erste danach, bedeuten konnte: dass man Job, Heim, Gesundheit, am Ende womöglich das Leben verlor.
    Sie setzte sich. Sie fror immer noch.
    »Ich hab das Spiel in Belgrad gesehen, ich war damals in Belgrad«, sagte Thomas Ilic, den Blick auf das Sweatshirt gerichtet.
    »Was für ein Spiel?«
    »Roter Stern gegen Bayern München, Halbfinale im Europapokal der Landesmeister, Rückspiel, 24. April 1991.
    Bayern hat bis zur neunzigsten Minute zwei zu eins geführt und war im Finale. Dann fabrizierten Augenthaler und Aumann ein wirklich komisches Eigentor, und Bayern war draußen. Ein paar Wochen später … Wir sollten gehen, so viel Zeit haben wir auch wieder nicht.«
    Sie ließen den Kaffee stehen, gingen hinaus in die Hitze und die Kälte. Thomas Ilic zog das Sakko aus, Louise schlang sich den Schal um den Hals. Die Sweatshirts rochen durchdringend nach Stoff und Farbe, unter dem Schal bildete sich rasch Schweiß. Immerhin war offenbar irgendwo in ihrem Körper ein wenig Wärme entstanden. »Was war ein paar Wochen später?«
    Sie stiegen ins Auto.
    »Krieg«, sagte Thomas Ilic.

    Im Westen, über Frankreich, waren Gewitterwolken aufgezogen.
    Im Nordosten, über der Badischen Weinstraße und Offenburg, hing weißlicher Dunst. Blauer Himmel war nur noch im Rückspiegel zu sehen. Die Heizung und die Sweatshirts zeigten Wirkung, sie fror nicht mehr. Mit der Wärme kehrten die Zuversicht und die Entschlossenheit zurück.
    Vielleicht lag es auch nur daran, dass der Gedanke an den Krieg die Relationen zurechtgerückt hatte.
    »Ich hatte das Hinspiel in München gesehen, ich wollte das Rückspiel in Belgrad sehen«, sagte Thomas Ilic. »Ich wollte, dass sie verlieren.«
    »Wer?«
    »Die Bayern.« Er legte den Schnellhefter auf die Ablage, faltete die Hände im Schoß. »Ich dachte, das wäre was, wir schlagen die großen Bayern. Mein Vater liebte Roter Stern, aber 1990 hatten die Krajina-Serben die Autonomie ausgerufen, deshalb wollte er, dass Roter Stern verliert … aber irgendwie wollte er auch, dass Roter Stern gewinnt.« Er lachte. »Er hat sich bei jedem Tor geärgert.«
    »Was sind Krajina-Serben?«
    »Die Serben, die in der Krajina leben. Lebten. Viele sind nicht zurückgekommen.«
    Und wo war die Krajina?
    In Kroatien. Das war doch das Problem gewesen. Eines von vielen. Das Enklaven-Problem. Die serbischen

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