Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
Kriegsverbrechen. Sie brachen Waffenstillstandsabkommen, schlossen die Grenze vor muslimischen Flüchtlingen aus Bosnien, richteten Massaker unter den Krajina-Serben an. Eine deutsche Zeitung schrieb:
»Gefährliches Ziehkind Kroatien«. Tudjman und Milosevic trafen sich heimlich und sprachen angeblich darüber, Bosnien-Herzegowina untereinander aufzuteilen. Träume von Großkroatien, von Großserbien? Dieselbe Zeitung schrieb, Kroatien werde zunehmend zu einem ethnisch reinen Staat. Der gute, alte Franjo Tudjman und Milosevic »geistige Zwillinge«?
Die Schuld der Serben wurde nicht relativiert. Aber nun gab es plötzlich auch auf kroatischer Seite Schuldige.
Und immer mehr Fragen.
»Ich wollte das nicht hören«, sagte Thomas Ilic.
»Kann man verstehen.«
»Man ist mal Deutscher, mal nicht.«
Sie sah ihn an.
»Mal ist man Deutscher, mal nicht«, sagte Thomas Ilic.
Sie hatten Offenburg durchquert, rechts und links waren keine Häuser mehr. Im Rückspiegel tanzte sekundenlang ein blauer Punkt, dann war der Punkt fort. Sie fuhren bis Zell, dort drehten sie um. »Immer geradeaus«, sagte Thomas Ilic, als sie wieder in der Stadt waren.
Mal war man Deutscher, dachte sie, mal nicht. Sie hatte sich immer als Deutsche gefühlt, nie als Französin. Ihr Vater war Franzose, sie hatte Gemeinsamkeiten vermieden.
Kurz darauf war der blaue Punkt im Rückspiegel wieder da, den Bruchteil einer Sekunde lang, irgendwo auf ihrer Netzhaut, aber sie reagierte zu spät, sah nur die Erinnerung, das Bild in ihrem Gedächtnis, ein blauer Punkt, der sich irgendwo hinter ihnen bewegt hatte, einer von vielen im Straßenverkehr, und doch war sie sicher, dass sie ihn in diesen Minuten zweimal gesehen hatte.
12
DAS BÜRO VON PADE befand sich südlich des Zentrums.
Eine schmale, baumlose Straße, ein hellblaues Haus, gegenüber ein öffentlicher Parkplatz. Auf den Gehwegen zwei, drei Passanten, ein Jogger, der Louise entfernt an Richard Landen erinnerte, weil er groß war, sich sehr aufrecht hielt. Ob Richard Landen joggte? Kaum. Man machte sich schmutzig dabei, man schwitzte.
Aber es tat gut, an ihn zu denken.
Sie fuhr auf den Parkplatz, wendete, sodass sie auf das Büro blickten. Eine holzumfasste Glastür, ein Schaufenster. Im Fenster hingen Poster von Pakistan, an der Tür hing ein Schild.
Sie kniff die Augen zusammen, um es lesen zu können – Wegen Krankheit vorübergehend geschlossen.
»Scheiße.«
Thomas Ilic nahm den Schnellhefter, blätterte, wählte eine Telefonnummer. »Anrufbeantworter.«
»Rufen wir Andrele an.«
»Sinnlos.«
Louise blickte auf das Schild, dann auf die Poster.
Wüstenlandschaften, Berglandschaften. Ein alter Mann mit Vollbart und weißem Turban. Eine wunderschöne Frau im roten Kleid mit Spiegelstickerei. Darunter stand in Großbuchstaben Belutschistan. »Sieht aus wie ein Reisebüro. Ruf Andrele an, Illi.«
»Sie lässt uns da nicht rein.«
»Versuch es.«
Er versuchte es. Das Gespräch war kurz. »Nein«, sagte er dann. »Komm, fahren wir nach Kehl.«
Sie ließ den Motor an. In diesem Moment setzte die Satie-Melodie ihres Handys ein. Ein Mann mit einem unverständlichen Namen und einer fernen, strengen Stimme.
»Was?«, sagte sie laut und stellte den Motor ab. Der Mann wiederholte seinen Namen, er blieb unverständlich, zu verstehen war nur »Botschaft«.
»Der BKA-Mann in Islamabad«, flüsterte Thomas Ilic.
Louise sagte: »Das ging ja schnell.«
»Erwarten Sie nicht zu viel«, entgegnete der Mann durch das atmosphärische Rauschen. »Das, was Sie wollen, habe ich noch nicht. Aber ich habe etwas anderes. Ich nehme an, Ihr Telefon ist abhörsicher?«
Sie grinste überrascht. »Natürlich.«
»Trotzdem kann ich am Telefon keine Namen nennen.«
»Verstehe.«
»Gestern Mittag wurden hier an der Botschaft Schengen-Visa für ein pakistanisches Ehepaar genehmigt. Beide sind Wissenschaftler – Geologen. Die Namen und digitalisierte Kopien der Visaanträge und der Deklarationen gehen in verschlüsselten E-Mails an Ihre Dienststelle und in Kopie an das Auswärtige Amt sowie das BKA. Sehen Sie sich die Adresse der einladenden Person an – Freiburg. Ich dachte, das interessiert Sie vielleicht.«
»Freiburg«, wiederholte sie.
»Ja.«
Thomas Ilic hatte den Schnellhefter genommen und schrieb auf einer Rückseite mit, was der Mann sagte. Louise folgte den blauen Wörtern mit dem Blick. »Haben Sie den Namen und die Adresse in Freiburg?«
»Nicht am Telefon, Kollegin.«
»Wann wurden
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